Comeback | Stereolab: Gegen die »gute alte Zeit«
Tim Meier: Stereolab sind zurück auf Platte und Bühne. Und wir waren dabei.
Marlon Grohn: Rückkehr stimmt schon mal nicht. Auf der Bühne waren Stereolab schon 2019 und dann 2022 zurück.
Meier: Wollen wir wirklich gleich mit diesem Musikredakteursjargon einsteigen?
Grohn: Wieso denn nicht? Die neue Platte führt doch genau Stereolabs Werk in Form und Inhalt weiter, als wären sie oder die Zeiten, auf die sie sich beziehen, nie fort gewesen. Und gleichzeitig sind die Texte noch politisch aktuell.
Meier: Die Epochen, die du ansprichst, sind aber vergangen. Seit »Chemical Chords«, ihrem letzten Album 2008, hat sich die Welt nicht zum Besseren gewandelt, das breite Kulturangebot à la Viva Zwei, »Spex« oder Diedrich Diederichsens anarcho-bolschewistischer Derridaismus in Plattenkritiken ohne Bezug auf die Platte – das alles ist ja fort. Während wir immer älter geworden sind und dachten, wir leben für immer in den 90ern, versuchten Stereolab, sich in unsere Nuller- und Zehnerjahre mit hinüberzuretten. Aber dann haben wir einen Moment nicht aufgepasst und weg war dieser Kosmos und mit ihm wir selbst.
Grohn: Lebendig wird er wieder auf den Konzerten und Platten. Quasi seelisches »Eigenblutdoping« (Diederichsen) mit Musik. Jetzt stehen wir hier, vor der Bühne, mit Hunderten von Leuten, viele jünger als wir, und fragen uns: Woher kennen die alle Stereolab?
Meier: 90’s are back, min Jung, sieht man überall. Ob Jugend oder Edeka, alle versuchen, die »beste Dekade« wiederzubeleben. Natürlich ironisch, natürlich noch entpolitisierter, als die Zeit selbst es damals war. Und ausgerechnet bei Stereolab verfängt sich das nicht: Ihr neues Album »Instant Holograms On Metal Film« zeigt, dass zwar Milieus verschwinden oder sich wandeln, aber nicht die Kunst, die von ihnen hervorgebracht wurde. Es geht nicht darum, eine »gute alte« Zeit zu besingen, sondern auf einen Zustand hinzuweisen, der mehr Möglichkeiten zum Aufbegehren ermöglichte. Stereolabs Bezüge auf den Experimentalfilmer Stan Brakhage, nach dem ein Lied benannt ist, Rosa Luxemburg (»Socialism ou Barbarie« heißt ein Album ihrer Sängerin Lætitia Sadier) sowie die Résistance (in ihrem alten Hit »French Disco«).
Grohn: Aber in Interviews haben sie auch gesagt, dass sie eigentlich mit Marxismus nicht viel am Hut haben.
Meier: Ich denke ja, es gehört zur Band-Strategie, dass man so was sagt. Es ist ja auf der Ebene solcher Kunstwerke ohnehin egal, wie tief Künstler in der behandelten Materie stecken. Das ästhetische Vermitteln der theoretischen Andeutung ist wichtiger als die »authentische« Kompetenz in der Quelle des Verweises.
Grohn: Stereolabs Musik hört sich doch recht sozialistisch an, auch abseits der Lyrics. Sie wirken sehr entspannt, aber darin unglaublich selbstsicher. Und zudem kämpferisch.
Meier: Das ist mir eh ein Rätsel, wie sie das immer wieder hinkriegen. Ich kenne keine Band, die mit solch einer provokativen Selbstverständlichkeit diese zugleich traurigen wie fröhlichen, ja ermutigenden Songs spielt. Es ist fast ein bisschen unverschämt: Wohlige Klänge, manchmal eine so harmlos daherplätschernde Dreampop-Melodie – und dann der Text wie von »Melodie Is A Wound«: »The goal is to manipulate/ Heavy hands to intimidate/ Snuff out the very idea of clarity/ Strangle your longing for truth and trust/ Choke, wisdom sapience and prudence.«
Grohn: Ich glaubte, nachdem diese ganze Pop-Intellektuellen-Bubble geplatzt ist, sollte das ja darauf Auswirkungen haben, wie man über Musik redet. Aber nichts da, Chance vertan. Die politischen Linken sagten nach 1990: Die Utopie ist im Eimer, lasst uns das mal neu denken mit dem Sozialismus. Der Pop-Diskurs aber wollte, so scheint’s, aus dem Untergang von »Spex« etc. nichts lernen oder aufarbeiten. Während Stereolab doch eine Möglichkeit im Gegenstand dieser Popkritik, in der Musik selbst finden.
Meier: Mir scheint, mit dem Angebot, das Stereolab der Pop-Rezeption machen, ist es wie mit den Kunstwerken im Museum: Das eigentlich Interessante ist heute nicht mehr das Bild selber, sondern das Leben des Künstlers, seine Person, sein Verhältnis zu anderen, der Zusammenhang, aus dem er meint, genau diese Kunst machen zu müssen. Auch im Museum sind es nicht mehr die Bilder selbst, die interessant sind für die Kritik, sondern der Raum dazwischen, die Menschen, wie sie sich die Werke anschauen, wer sie sind, was sie dazu sagen, was sie wollen. So wie wir jetzt, anlässlich des neuen Albums, dieses Gespräch führen.
Grohn: Letztlich ist Popmusik doch immer »nur« ein Mittel gewesen, ein Werkzeug, dass auf ein »Mehr« und ein »Weiter« hinauswill: Die Musiker bieten die Vorlage, aber leben musst du es bitte schon selber. Kunst zeigt immer, dass es nicht reicht, sie nur zu rezipieren – das Werk ist nur dann fertig, wenn man selbst auf die Konzerte geht, mitsingt und -tanzt.
Meier: Würdest du sagen, Stereolab hätten damit das letzte Kunstwerk geschaffen, so wie Malewitsch das angeblich schon getan hat oder Duchamp?
Grohn: Boris Groys sagt, im »letzten Kunstwerk« dürfe nur noch »der verborgene, unsichtbare, undarstellbare Rhythmus des Lebens herrschen, auf den ausschließlich mittels Schrift hingewiesen werden konnte«. Das passt tatsächlich auf Stereolab, wenn man Schrift durch Musik ersetzt. Pop muss beginnen, sein eigenes, in sich geschlossenes Werk zu werden, damit auch seine eigene Kritik zu erhalten, die Kritik des Rezensenten überflüssig machen.
Meier: Nur, wenn Stereolab wirklich das absolute, das letzte Kunstwerk erschaffen haben, dann dürfen wir darüber nicht reden. Sonst wäre das Werk nicht mehr absolut.
Grohn: Aber wir haben doch gerade auf dem Konzert mitgesungen und rumgejubelt. Gilt das nicht als Abschluss des Werkes? Wir sind ja quasi drin im Werk, die gedruckte Kritik wäre gar nicht mehr nötig.
Meier: Wir sind Teil des Werks – wir müssen ebenfalls vermitteln, in Form einer Besprechung, sonst erreicht Stereolabs Kunst nicht die Welt.
Stereolab: »Instant Holograms on Metal Film«( Duophonic Uhf/ Warp/ Rough Trade)
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