ESC 2025: Sieben Fragen und Antworten zum Popspektakel in Basel

Wir befinden und im Jahr 2025 n. Chr. Ganz Europa befindet sich im Klammergriff multipler Krisen. Ganz Europa? Nein! Ein von unbeugsamen Partyfreunden bevölkertes Glitzerraumschiff hört nicht auf, der allgemeinen Tristesse Widerstand zu leisten. Es landet in diesem Jahr im schweizerischen Basel, quasi auf neutralem Boden. Dort geht nach dem Sieg des pinkfarbenen Schweizer Drehtellervögelchens Nemo („The Code“) im Vorjahr der 69. Eurovision Song Contest über die Bühne. Mit dabei: 36 Bewerber um die europäische Popkrone. Und dazu noch Deutschland.

Europa trifft sich auf neutralem Boden: Die Fassade der St. Jakobshalle in Basel wird mit Herzen für den Eurovision Song Contest (ESC) 2025 dekoriert.
Quelle: Georgios Kefalas/KEYSTONE/dpa
Im Zentrum des hiesigen Interesses steht ein ESC-Veteran, der sich anschickt, Ralph Siegel in Sachen ESC-Besessenheit den Rang abzulaufen: Stefan Raab will das Geschwisterduo Abor & Tynna, das mit seinem Elektropopkracher „Baller” für Deutschland ins Rennen geht, am 17. Mai zum Sieg führen. Doch natürlich geht es in dem brutalistischen Eventbunker namens St. Jakobshalle (den die Baseler liebevoll „Joggelihalle” nennen) um viel mehr als Raabs Ego und ein bisschen Glitzerstaub.
Turin 2022 und Liverpool 2023 standen im Zeichen der Solidarität mit der geschundenen Ukraine. 2024 in Malmö dann geriet der ESC teils zur skandalös-peinlichen Mobbingshow überdrehter Teilnehmer gegenüber der israelischen Sängerin Eden Golan wegen des Gaza-Krieges - und gipfelte im Rauswurf des Niederländers Joost Klein wegen „Fehlverhaltens“. Die ESC-Verantwortlichen haben neue Benimmregeln aufgestellt, Backstage-Schutzzonen und eine Hotline für Drangsalierungsopfer eingerichtet. Konkrete Terrordrohungen gebe es nicht, heißt es, man sei aber auf Anschlagspläne, Cyberattacken oder aus dem Ruder laufende Protestaktionen vorbereitet. Für Israel geht diesmal die 24-jährige Yuval Raphael ins Rennen, eine Überlebende des Hamas-Blutbads am 7. Oktober 2023. Auch sie rechnet mit massivem Gegenwind. So hat sich Nemo, vor einem Jahr siegreich für die Schweiz, wegen des Gazakriegs gegen eine Teilnahme Israels ausgesprochen. Ähnlich haben sich 70 frühere ESC-Teilnehmer in einem offenen Brief geäußert. Auch Spanien und einige andere Länder verlangten, dass über die Teilnahme diskutiert werde. Und was sagt Yuval Raphael? „Mir macht nichts mehr Angst.“

Ein Hoch auf die Sauna! Das schwedische Trio KAJ feiert beim ESC die Segnungen des Schwitzbades - und gilt als Favorit auf den Sieg.
Quelle: IMAGO/TT
Irgendwo in den schwedischen Wäldern muss eine geheime Hitfabrik stehen, in der Benny Andersson von ABBA als Petrosilius Zwackelmann des Pop nach einer magischen Zauberformel ESC-Hits in Serie bäckt. Schon wieder Schweden! Das Trio KAJ feiert in seinem durchgeballerten Polka-Ohrwurm „Bara bada bastu“ (Einfach in die Sauna gehen) die Segnungen eines Schwitzbades und gilt (auch wegen gut 40 Millionen Streams bei Spotify) bei den Buchmachern als haushoher Favorit. Dahinter folgt der österreichische Countertenor JJ („Wasted Love“), dessen offensives Organ je nach Lesart zwischen „spektakulär“ und „hirnerweichend“ anzusiedeln ist. Hoch gehandelt werden auch der Niederländer Claude mit der tanzbaren Schmerzensschnulze „C‘est La Vie“ - und Israel. Die ukrainische Band Ziferblat hingegen dürfte trotz des Solidareffektes chancenlos sein.
Ein österreichisches Geschwisterpaar mit ungarisch-rumänischen Wurzeln, tief entspannt bis an die Grenze zur emotionalen Abwesenheit, singt todeshippen Elektropop für Deutschland. Und das - erstmals nach Roger Ciceros „Frau’n regier’n‘ die Welt“ von 2007 - mal wieder auf Deutsch. Das erfreut Traditionalisten. Allein: Durch reine Willenskraft gewinnt nicht einmal Raab den ESC. Auf eine Mittelfeldplatzierung für Deutschland - als großer Geldgeber wie immer für das Finale gesetzt - darf man aber hoffen.

"Sie dürfen mich gern beschimpfen, wenn das hier schief geht: Stefan Raab spielt neben ARD-Programmdirektorin Christine Strobl bei der Vorstellung seiner ESC-Pläne im Frühjahr in Berlin Ukulele.
Quelle: Willy Weber/RTL/dpa
Der Kölner Kachelgrinser sieht sich als „Ideengeber” - und will gewinnen. „Nur daran lasse ich mich messen“, sagt er. „Sie dürfen mich gern beschimpfen, wenn das hier schiefgeht. Glauben Sie mir: Ich bin dann stinkesauer. Und ich werde einen Schuldigen finden.“ Zur Erinnerung: Alle ESC-Beiträge unter seiner Mitwirkung erreichten bisher die Top Ten. Zwischen den beiden ESC-Halbfinals am 13. und 15. Mai geht Raab am Mittwoch, 14. Mai, um 20.15 Uhr mit einer eigenen ESC-Show bei RTL auf Sendung („Chefsache ESC 2025“). RTL hat ja nicht umsonst angeblich 90 Millionen Euro für Raabs TV-Comeback hingeblättert. Der NDR zeigt außerdem die Dokumentation „Stefan Raab: Mein ESC“ (ab 12. Mai in der ARD-Mediathek).

Meint alles ironisch: Der Este Tommy Cash mit Fans.
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Aber sicher! Die Zeit von Trickkleidern, singenden Truthähnen und Eiskunstlauf scheint vorbei - aber die Freude am gehobenen Blödsinn ist unsterblich. Der Este Tommy Cash zieht, tanzend wie ein liebestoller Buchhalter, mit „Espresso Macchiato“ Italienklischees durch den Kakao. Die finnische Discohaubitze Erika Vikmann singt wenig subtil „Ich komme“ (auf Deutsch). Und die maltesische Sängerin Miriana Conte musste ihren Song „Kant“ (Gesang) umformulieren, weil das Wort der BBC zu sehr nach dem vulgären „Cunt“ klang.

Moderiert im ESC-Finale: Michelle Hunziker.
Quelle: IMAGO/M.Charming
Moderiert werden die ESC-Halbfinals von der Schweizer ESC-Veteranin Sandra Studer (56, Fünftplatzierte 1991) und der Komikerin Hazel Brugger (31). Im Finale werden beide von Michelle Hunziker (teilweise 48) unterstützt. Ein großes Geheimnis machen die Veranstalter um einen Gastauftritt von Celine Dion. Angesichts ihrer Erkrankung (Stiff-Person-Syndrom), die mit Muskelkrämpfen einhergeht, soll die Tagesform entscheiden.
Russland ist raus. Noch immer. Die Europäische Rundfunkunion (EBU) hat das Land 2022 suspendiert, ebenso wie Weißrussland drei Jahre zuvor. In einer Art politisch-kulturellem Trotzanfall hat Wladimir Putin einen Konkurrenz-Contest ausgerufen: Der Wettbewerb „Intervision“ mit angeblich 25 Teilnehmerländern (darunter China, Brasilien, Indien, Saudi-Arabien und Südafrika) soll im Herbst über die Bühne gehen. Voraussichtlich ohne Stefan Raab.
rnd