Sprache auswählen

German

Down Icon

Land auswählen

Germany

Down Icon

Irans Schattenarmeen führten jahrzehntelang einen Mehrfrontenkrieg gegen Israel: Hamas und Hizbullah sind geschwächt, vorschnell abschreiben sollte man sie dennoch nicht

Irans Schattenarmeen führten jahrzehntelang einen Mehrfrontenkrieg gegen Israel: Hamas und Hizbullah sind geschwächt, vorschnell abschreiben sollte man sie dennoch nicht
Ein Mitglied der Hamas während einer Zeremonie zu Ehren von Yahya Ayyash, der laut israelichen Angaben der Kopf hinter mehreren Bombenanschlägen sein soll.

Lohnt sich das noch? Bücher über die Hamas und den Hizbullah zu lesen? Sind nicht beide mehr oder weniger besiegt, militärisch wie politisch? Hat Israel die Feldzüge gegen sie nicht für sich entschieden? Auf den Gedanken könnte man kommen angesichts der jüngsten Ereignisse im Nahen Osten. Doch sie könnten trügen, wieder einmal.

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Der Historiker Joseph Croitoru hat die Hamas und den Hizbullah in zwei Büchern beleuchtet. Mit Blick auf eine mögliche Neuordnung des Nahen und des Mittleren Ostens nach Israels Präventivkrieg gegen Iran ist grundlegend, was er zur Hamas in Erinnerung ruft: Die islamistischen palästinensischen Kampfmilizen führen schon seit Jahrzehnten einen terroristischen Zermürbungskrieg gegen Israel. Sie lehnten den Frieden, den die Palästinensische Befreiungsorganisation und Israel 1993 schlossen, von Anfang an ab. 1987 hatten sie sich im Gazastreifen mit dem Ziel gegründet, jeglichen palästinensischen Dialog mit den israelischen Besetzern zu torpedieren.

Die Hamas schrieb sich die Vernichtung des Staates Israel auf die Fahnen. Croitoru zeigt, wie sie sich dafür gezielt eines islamistischen und jihadistischen Vokabulars bediente, das ihren Ursprung in der Bewegung der ägyptischen Muslimbrüder bezeugen sollte. Er weist darauf hin, dass die Hamas schon in den frühen neunziger Jahren Selbstmordattentäter einsetzte, was in der zutiefst verletzten israelischen Gesellschaft Rufe nach Vergeltung laut werden liess wie die heutigen. Bereits war Benjamin Netanyahu Ministerpräsident. Und Croitoru erinnert daran, dass er die weitere Umsetzung der Oslo-Friedensverträge hinauszuzögern versuchte, allerdings schon nach drei Jahren im Amt wieder abgewählt wurde.

Bewaffnete Kämpfer des Al-Qassam-Flügels der fundamentalistischen Hamas verlesen am 27. Juli 1994 eine Erklärung, in der sie Israel die sterblichen Überreste eines vor fünf Jahren getöteten israelischen Soldaten in Tausch gegen die Freilassung ihres Anführers, Scheich Ahmed Jassin, anbieten.
Bei einer Explosion am 25. Februar 1996, für die die Hamas die Verantwortung übernahm, starben 24 Menschen.
Das Ziel der Hamas

Die Hamas und die Fatah wiederum waren in Bezug auf das Verhältnis zu Israel zerstritten. Aber sie kämpften während der Al-Aksa-Intifada zu Beginn des Jahrtausends Seite an Seite gegen ein, wie Croitoru schreibt, «zunehmend aggressives und wenig kompromissbereites Israel unter dem rechten Hardliner Ariel Scharon». Ihre Wege sollten sich erst trennen, als die Hamas 2006 die palästinensischen Wahlen gewann, die Macht nicht mit der Fatah teilen wollte und die säkulare Kontrahentin im Juni 2007 mit Gewalt aus dem Gazastreifen vertrieb.

Die Hamas, die Croitoru zugleich als politische Bewegung, Wohlfahrtsorganisation und Miliz charakterisiert, nutzte die Alleinherrschaft in Gaza, um die traditionell ausgerichtete palästinensische Gesellschaft des Gazastreifens zu durchdringen und die militärischen Fähigkeiten ihrer Kassam-Brigaden auszubauen.

Croitoru betont, die Hamas habe ihr Ziel, über alle Palästinensergebiete zu herrschen und dem «zionistischen Wesen» ein Ende zu setzen, nie aufgegeben. Obwohl sich ihre Anführer 2017 bereit erklärten, den vollständigen Rückzug Israels aus dem Westjordanland als Grundlage für einen künftigen Dialog zu akzeptieren. Solche Signale seien in Israel allerdings auf taube Ohren gestossen, vor allem bei Netanyahu. «Die Besetzung», wie Israel von Palästinensern im Gazastreifen bezeichnet werde, habe sich gefestigt durch die Abriegelung des Küstenstreifens oder den Ausbau der israelischen Siedlungen im Westjordanland.

26. Oktober 2003 sprengte die israelische Armee drei leeren Wohntürme in der Stadt al-Zahrah im Gazastreifen als Vergeltung für einen tödlichen palästinensischen Angriff auf eine nahe gelegene jüdische Siedlung.
Vernichtungskrieg

Croitoru bemüht sich um eine ausgewogene Darstellung. Dazu gehört es, nicht nur das palästinensische Echo auf diese Politik klar zu benennen, sondern auch die Reaktion Israels: Der Hamas habe der politische Kurs von Netanyahu als Rechtfertigung gedient, Israel mit Raketen zu beschiessen. Jerusalem habe darauf auch Wohngebiete im Gazastreifen beschossen, weil die Hamas Zivilisten und zivile Einrichtungen als Schutzschilde missbrauche.

Ein Ende des Konflikts ist nicht abzusehen. Dies umso mehr, als die Hamas bereits beim Aufbau ihrer Militärmacht im Gazastreifen von Iran und dem Hizbullah unterstützt wurde, mit Ausbildung und Waffenlieferungen. Unterdessen hat Israels Abwehrkampf gegen die Hamas den Charakter eines Vernichtungskrieges angenommen. Ob die israelische Armee das Ziel, die Hamas zu vernichten, je erreichen kann, lässt Croitoru offen. Für ihn steht lediglich fest, dass Israel den Gazastreifen nie wieder der Hamas überlassen wird.

Beim Hizbullah wirkt die Lage nicht weniger verfahren, zumal die Schauplätze der Kämpfe zwischen Israel und Irans Stellvertretern stark miteinander verflochten sind. Croitoru bringt dies auf die Formel, der Gaza-Krieg habe Israels Feinde entlang der proiranischen «Achse des Widerstands» in Libanon, im Irak und in Jemen zu einer Front zusammengeschweisst. Der libanesische Hizbullah habe schon am Tag nach dem 7. Oktober 2023 begonnen, israelische Grenzorte und Militärbasen in Nordisrael mit Raketen und Drohnen unter Dauerbeschuss zu nehmen.

Hass auf Israel

Damit setzt sich dort wie im Gazastreifen nicht nur eine inzwischen jahrzehntelange Abfolge von Angriff und Gegenangriff fort. Croitoru macht darüber hinaus weitere Parallelen deutlich: Wie die Hamas agiert der Hizbullah auch als Wohltätigkeitsorganisation und politische Partei, die für einen fundamentalistischen Islam und den Hass auf Israel steht. Teherans Stellvertreter kontrollieren ein dichtes Netz aus religiösen und sozialen Stiftungen, Medien und Publikationsorganen. Seit 2005 ist die Hamas in jeder libanesischen Regierung vertreten.

Zwar ist der Hizbullah wie die Hamas eine Schattenarmee Teherans – und dies noch in viel grösserer Dimension. Doch scheinen die jüngsten Luftangriffe und Bodenoperationen der israelischen Armee den Hizbullah so geschwächt zu haben, dass er das Asad-Regime in Syrien nicht vor seinem Sturz bewahren konnte. Dennoch oder gerade deswegen steht für Croitoru fest, dass Iran, dessen «Achse des Widerstands» mit dem Zusammenbruch der Asad-Armee eine langjährige Stütze verloren habe, seinen schiitischen Protégé in Libanon nicht ohne weiteres aufgeben wird.

Allerdings stellt sich nach der israelischen Ausdehnung selbsterklärter Präventivschläge zuerst gegen Syrien und nun gegen Iran selbst die Frage, ob Teheran in Zukunft noch zu Stellvertreterkriegen gegen Israel in der Lage sein wird. Von Irans angeschlagenen Schattenarmeen im Gazastreifen, in Libanon und in Syrien fällt zunehmend ein Schatten auf ihre Förderer in Teheran. Die jüngste militärische Intervention der Vereinigten Staaten im Schulterschluss mit Israel gegen Iran dürfte diesen Trend weiter verstärken.

Libanesische Hisbollah-Guerillas tragen am 14. Februar 2008 den Sarg ihres ermordeten Kommandeurs Imad Moughniyah durch einen Vorort von Beirut.

Joseph Croitoru: Die Hisbollah. Irans Schattenarmee vor den Toren Israels. C.-H.-Beck-Verlag, München 2025. 183 S., Fr. 22.40.Joseph Croitoru: Die Hamas. Herrschaft über Gaza, Krieg gegen Israel. C.-H.-Beck-Verlag, München 2024. 383 S., Fr. 22.40.

nzz.ch

nzz.ch

Ähnliche Nachrichten

Alle News
Animated ArrowAnimated ArrowAnimated Arrow