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Martin Suters «Wut und Liebe» liefert eine schmissige Geschichte aus der Überflussschweiz

Martin Suters «Wut und Liebe» liefert eine schmissige Geschichte aus der Überflussschweiz
Über 10 Millionen Bücher hat Martin Suter bisher verkauft: hier der Autor in seiner Rolle als Schauspieler für den Film «Alles über Martin Suter – ausser die Wahrheit» während eines Fototermins am 75. Filmfestival von Locarno 2022.

«Wut und Liebe» beginnt mit einem Ende. Noah Bach, ein erfolgloser Maler mit Ansprüchen – statt Einkünften –, wird sitzengelassen. «Ich liebe dich, aber nicht das Leben mit dir», sagt die bildschöne Buchhalterin Camilla da Silva und rechnet für ihre Zukunft lieber mit einem reicheren Mann.

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Nach Geld und Liebe lechzend, trifft der junge Noah zufälligerweise die ältere, herzkranke Betty Hasler. Sie bestellen zur gleichen Zeit am gleichen Ort den gleichen Drink. Mojito. Beide plagt die Sehnsucht nach einer verlorenen Liebe. Schneller als in einer Telenovela freundet das ungleiche Paar sich an, hat Vertrauen und eine Stammkneipe und bald auch ein gemeinsames Ziel.

Peter W. Zaugg, den Betty für den zu frühen Tod ihres Gatten verantwortlich macht, muss sterben. Die Rache ist ihr eine Million Franken wert. Wie praktisch, dass Noah Geld braucht und als Künstler zwar Pazifist ist, in der Rekrutenschule aber dennoch einer der besten Schützen war.

Die Sache mit Suter

«Wut und Liebe» liest man, wie das bei Suter-Büchern immer ist, schnell und gern und ohne viel darüber nachzudenken. Auf den Bestsellerlisten in Deutschland, Österreich und der Schweiz schoss der Roman gerade von null auf Platz eins.

Die Sache mit Martin Suter beschreibt Martin Suter ganz gut selbst. Etwa mit dieser einen Szene zwischen Noah und seinem besten Freund und Vorbild Bernard Himmel. Himmel heisst eigentlich Fritz Reiter; hat sich aber früh umbenannt, um dem Bild eines Malers nicht nur auf der Leinwand, sondern auch in der Welt zu entsprechen. Himmel weiss: Die Kunst besteht darin, es den Leuten auf allen möglichen Ebenen leicht zu machen.

Nicht mit Experimenten und Idealismus, sondern mit einer guten Geschichte und Wiedererkennungswert werde aus Kunst Geld, erläutert Himmel. Es ist ein kleines Werbe-Einmaleins, das er seinem Freund Noah darlegt und auf das dieser irgendwann aufgebracht antwortet: «Das ist keine Kunst. Das ist Marketing!» Und damit wäre man nun also wieder bei Martin Suter angelangt. Einst Werber, längst Bestsellerautor.

Viele Abgründe, wenig Tiefgang

11 Millionen Bücher hat Suter bisher verkauft. Dieser Autor, mit seinen gut, aber nicht perfekt sitzenden Anzügen und dem zurückgekämmten Haar ist der vielleicht eleganteste Vertreter der Schweiz. Ein Vertreter in eigener Sache – als Verkäufer erfolgreicher ist in diesem Land einzig der Genfer Joël Dicker mit seinen etwas mehr als 15 Millionen verkauften Büchern.

Sowohl Dicker als auch Suter arbeiten mit zügigen Handlungen, menschlichen Abgründen, aber wenig Tiefgang. Beide haben glatte, schnell gelesene Unterhaltung zur Kunstform erhoben. Beide nutzen dafür Unwahrscheinlichkeiten und Zufälle als Katalysatoren. Während bei Dicker mehr Kriminalroman ist, ist bei Suter mehr Kronenhalle. Will heissen: mehr schöne Orte, amüsante Gesellschaftssituationen, Häppchen und Zwischenmenschliches.

In dieser Umgebung schält Suter auch diesmal erst langsam, dann immer rasanter das grosse Geheimnis heraus, das auf den letzten Seiten enthüllt wird. Diese zuverlässige Überraschung zum Schluss macht Suter zu einem sicheren Wert. Das Rezept ist erprobt, es funktioniert seit 1997. Damals erschien Suters erster Roman «Small World». Seither variiert der Profi zwar die Zutaten, hält aber am erfolgversprechenden Garverfahren fest. Oder, so sagt es eine Figur in «Wut und Liebe» über den Stil eines abwesenden Künstlers: Er benutze äusserst erfolgreich «ein spezifisches Wiederholungsverfahren auf der narrativen Ebene».

Miniaturen aus der aufgeräumten Überflussschweiz

Ein Vertreter ist Suter nicht nur aus der Perspektive des Detailhandels. Wer die Bestsellerlisten im gesamten DACH-Raum anführt, wird auch zu einem Vertreter der Schweiz im Ausland. Als solcher lässt der Autor in seinen Geschichten genau so viel Champagner auf die Klischeemühlen fliessen, wie es braucht, um das Bild der reichen und aufgeräumten Überflussschweiz zu bedienen, ohne es zu karikieren. Das richtige Mass zu erkennen, ist eine Stilfrage – darauf kennt Suter die Antwort.

Das Lokalkolorit bedient für die einen das Bedürfnis nach wohlportionierter Exotik, während es bei den anderen auf das Konto der Wiedererkennungswerte einzahlt. In kleinen Miniaturen erinnert Suter die Schweizer an sich selbst.

Vom Vater des Protagonisten Noah etwa gibt es Fotos, die ihn als Späthippie zeigen, und Anekdoten, die von Jugend-Demos und Tränengas berichten. Doch: «Aus diesem rebellischen jungen Mann wurde ein immer spiessigerer Beamter.» Vom Systemkritiker zum Bünzli, von links nach rechts – eine typische Schweizer Lebenskarriere.

Oder Betty Hasler: Gerade noch ist sie mit ihrem Patrick, genannt Pat, im umgebauten VW-Bus nach Griechenland gefahren, hat Ouzo getrunken und nackt gebadet. Nun steht sie herzkrank und verwitwet in ihrem Schlafzimmer und blickt auf das Ehebett, in dem sie seit 21 Jahren schläft. In der Wohnung, die Pat und sie kauften, als die Jugend weniger und das Geld mehr wurde. «Sie waren vom Liebespaar zum Team geworden, wie viele Paare, wenn sie Glück hatten.» Auch darin dürften sich viele wiedererkennen.

Zwischen den Zeilen

Martin Suter weiss natürlich genau, was man über seine Romane sagt; dass der kommerzielle Erfolg auf Kosten des künstlerischen Anspruchs gehe. So liest sich die anfangs beschriebene Szene, die Unterhaltung der beiden unterschiedlich erfolgreichen Künstler Noah und Bernard, denn auch wie ein kleiner Kommentar. Ein selbstironisches Augenzwinkern zwischen den Zeilen.

Besonders, weil die schöne Buchhalterin Camilla, der natürlich nicht entgangen ist, dass bei Noah zwischen Soll und Haben immer eine grosse Lücke klafft – die sie regelmässig stopfen muss –, zu ihrem Künstler sagt: «Etwas Marketing könnte auch dir nicht schaden.»

Martin Suter: Wut und Liebe. Diogenes-Verlag, Zürich 2025. 304 S., Fr. 35.–.

nzz.ch

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