Mit dem Badeschwamm am Stiel bringt sich der Denker Franz Schuh in Höchstform


Ein Philosoph will er nicht genannt werden, das wäre ihm zu pompös. Er nennt sich «Literat mit philosophischen Interessen». Während ein Philosoph hofft, in wirklich wichtigen Fragen auf endlich richtige Antworten zu stossen, ist ein Literat wie Franz Schuh sich seiner unsicheren Rolle stets und gerne bewusst. Im Unsicheren fühlt er sich wohl. Hier kann er tun und lassen, was er will.
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Was will er? Der österreichische Denker, den man mit niemandem sonst vergleichen kann, schreibt Bücher mit überzeugenden Titeln. Sein neuestes heisst: «Steckt den Sand nicht in den Kopf». Man muss diesen Titel zweimal lesen, damit einem der Witz nicht entgeht. Die Formel vom Kopf, den man in den Sand steckt, steckt ja wiederum ganz fest in unseren Köpfen.
Franz Schuh schreibt Bücher gegen die Zeit. Gegen eine Denkfaulheit, die sich im längst Gedachten genauso ausruht wie im schrillen Andersdenken aus Prinzip. Für die gerade sehr in Mode gekommene Meinungsstärke hat er eine Schwäche: Man kann sie nämlich in ihrer häufig nur schlecht getarnten Lächerlichkeit sehr gut entlarven.
Der Mensch braucht GegnerEiner der wichtigen Essays in Schuhs neuem Buch heisst: «Viel Feind, viel Ehr». Er bringt auf den Punkt, wie sich das, was frühe politische Gegnerschaft war, zu politischer Feindschaft radikalisiert hat: «Man muss das Bedürfnis nach Pathos, nach Erhabenheit der eigenen Person und nach der eigenen Wichtigkeit als Feind oder Freund ausleben, während der Gleichgültigkeit, mit der Menschen einander zumeist begegnen, etwas Lebloses, Nicht-Vitales anhaftet.»
Der Essayist plädiert für eine Gleichgültigkeit in produktiv-empathischer Form, «für das Herunterkochen der Feindschaft zur Gegnerschaft. Gegner sind Menschen, die zur Aufrechterhaltung und Betonung der eigenen Identität gut zu gebrauchen sind. Nicht zuletzt in einer Gegnerschaft kommt man zu sich. Zu Feinden macht man (sich) seine Gegner, indem man sie zu vernichten wünscht.» Sage das einmal einer den Kulturkämpfern aus allen Lagern, die glauben, jetzt wäre die Zeit, andere Meinungen zu Feindesland zu erklären und sie von der Landkarte des Denkens und der Institutionen zu tilgen.
Franz Schuhs Buch «Steckt den Sand nicht in den Kopf» ist eine unreine Mischung aus Essays, kleineren biografischen Ausflügen und sogar Gedichten. An der Meinung, dass das Gedicht einen ähnlichen Erkenntniswert haben kann wie ein Aufsatz, erkennt man den Literaten, der sich gegen den Verdacht wehrt, in Wahrheit doch ein Philosoph zu sein.
Dieses Fach ist dem Österreicher auf nicht unfreundliche Art suspekt, weil schliesslich jeder Durchschnittsmensch philosophische Gedanken haben kann, es gleichzeitig aber auch eigene Akademiker gibt, die dafür bezahlt werden, dass sie philosophieren: die Philosophieprofessoren. Ein Zwischenprodukt ist für Franz Schuh der gut verdienende Fernseh-Intellektuelle Richard David Precht. «Ich verehre den klugen Menschen Precht, aber, weiss der Teufel, ein Philosoph ist er für mich nicht», heisst es im Buch, in dem es auch oft um das geht, was die Fernsehanstalten ihren Kunden so vorsetzen.
Einer wie Schuh kann da nicht wegschauen. Das Triviale steht für ihn oft gleichwertig neben dem Nichttrivialen, weil es ja nicht nur zeigt, wie der Mensch gerne wäre, sondern wie er ist. Bei einer Serie wie «Diese Drombuschs» kann sich Franz Schuh Gedanken machen über das Verhältnis zwischen Österreichern und Deutschen, weil es in dieser deutschen Serie auch so etwas wie einen Heurigen gibt.
Schuhs aktuelles Fazit: Österreichs Nachbar hat seine provokante Perfektionierungslust eingebüsst und sich in die Arme der Schlamperei fallen lassen. So sind sich die beiden Länder ähnlicher geworden: «Heute geht es in Österreich und Deutschland genauso drunter und drüber.» Im Prozess dieser beiderseitigen Selbstabwertung muss dem anderen gegenüber niemand Minderwertigkeitsgefühle haben. Wo sich die beiden Länder auch ähneln: beim Aufstieg des Rechtspopulismus. Allerdings hat Franz Schuhs Heimat, Stichwort Jörg Haider, die älteren Rechte.
Politische Figuren des Populismus faszinieren den Essayisten, weil sie oft Zuspitzungen von Charaktereigenschaften sind. Übertreibungsformen, in denen sich der normale Wähler wiederfindet, aber mit vergrösserter Wirkmacht. Donald Trump ist ein Beispiel für solche Politiker, aber auch zum österreichischen FPÖ-Chef Herbert Kickl weiss Franz Schuh Luzides zu sagen.
Das Denken wächst an Winzigkeiten1947 geboren, ist Schuh ein Nachkriegskind. Als Sohn eines antinazistischen Widerstandskämpfers, der es sich im Häuslichen nicht nehmen liess, diktatorisch zu herrschen, hat er eine Hellhörigkeit gegenüber den Anmassungen der Macht und ihren Folgen entwickelt.
Seine Bücher erweitern die Welt, indem sie Massstäbe zurechtrücken und gelegentliche Selbstverkleinerung zur wahren Grösse erklären. Der Homo sapiens in homöopathischer Dosis, das wäre es. Statt mehr wichtiger «Wichteln» mehr «Nichteln». Aus den Satiren des Horaz zitiert Franz Schuh eine Zeile, die er seit seiner Schulzeit nicht vergessen hat: Es geht darin ums gedankenversunkene Dahinschlendern. «Nescio quid meditans nugarum.» Nugae, nugarum, das sind Winzigkeiten, Flausen, Einfälle, die unser Denken doch aufs Schönste beschäftigen können.
Denken ist Arbeit, aber wenn man mit Franz Schuh denkt, dann wird es zur Freizeit. So ist es auch im grossartigen neuen Buch «Steckt den Sand nicht in den Kopf». Hier geht es um Philosophie, Weltpolitik, Salzstreuer und Socken. «Die grossen Fragen», schreibt Schuh selbstironisch, «ich habe sie alle gelöst.» Und weiter: «Das unbefragt Existierende harrt noch seiner befreienden Besprechung meinerseits.»
Was folgt, ist eine Würdigung des Hosenträgers und eines teilweise aus meerblauem Plastik gefertigten Lebenshelfers, den der grosse Stilist Schuh für sich entdeckt hat: den «Badeschwamm am Stiel». Es ist ein Werkzeug der Hygiene und der Würde zugleich. «Wir buckeln vor niemandem und nichts, erreichen mit dem Badeschwamm am Stiel unsere Füsse, ohne im Geringsten den Rücken zu krümmen.» Auch duschend bleibt der Denker ganz er selbst: «unbeugsam und aufrichtig».
Franz Schuh: Steckt den Sand nicht in den Kopf. Paul-Zsolnay-Verlag, Wien 2025. 288 S., Fr. 37.90.
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