Trüffelchips, Trüffelhonig, Truffle-Burger: wie ein Geschmack die Schweiz erobert

Thomas Flammers Leidenschaft für Trüffeln begann mit einer Leberwurst und einer Täuschung. Die Liebe zu Pilzen hatte er von seinem Vater geerbt. Dieser war ein bekannter Mann in der Szene. Als Arzt und Mykologe hatte er ein so einflussreiches Nachschlagewerk über Giftpilze und Pilzvergiftungen geschrieben, dass es in Fachkreisen kurz «der Flammer» genannt wurde.
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Eines Tages also brachte der Vater eine «getrüffelte Leberwurst» aus St. Gallen mit. Das war in den 1990er Jahren eine Rarität; damals gab es noch kaum Produkte mit den seltenen und teuren Pilzen. Doch als die Flammers die Wurst probierten, waren sie enttäuscht. Obwohl sie schwarz gesprenkelt war, schmeckte sie nicht nach Trüffeln.
Statt sich darüber zu ärgern, analysierten die Flammers die Wurstmasse unter dem Mikroskop.
Das Ergebnis: keine Spur von Trüffeln. Stattdessen fanden sie Stücke von Schwarzwurzeln. Olivenhäute. Medizinalkohle. «En huere Bschiss», habe der Vater gesagt, erinnert sich Thomas Flammer. Ein Betrug, der kaum jemand aufdecken konnte, da den Lebensmittelkontrolleuren das nötige Wissen fehlte, um Schummlern auf die Schliche zu kommen. Also verfassten Vater und Sohn Flammer einen Ratgeber. «Trüffeln – Leitfaden zur Analyse der im Handel vorkommenden Arten». Es war das erste Handbuch gegen den Trüffelbschiss.
Heute, dreissig Jahre später, gilt Thomas Flammer selbst als Pilzexperte. Der pensionierte Informatiker führt das Verzeichnis mycopedia.ch, hält Vorträge zu Trüffeln und erstellt Gutachten zu Echtheit oder Reifegrad. An diesem Nachmittag im August sitzt er in seinem Garten in Schaffhausen und testet sich durch den Geschmack, der in letzter Zeit extrem populär geworden ist. Der weltweite Umsatz mit Trüffeln und Trüffelprodukten steigt seit Jahren an. 2024 überstieg er eine Milliarde Dollar deutlich, und bis 2034 soll er sich beinahe verdoppeln.
Flammer ist allerdings nicht begeistert von den Produkten, die er degustiert. Die Trüffelchips? «Ein Marketing-Gag.» Die Trüffelmayonnaise? «Furchtbar!» Die mit Trüffeln gefüllten Oliven? «Das Leben ist doch zu kurz für solche Sachen.»
Gaben für Könige, Prinzessinnen und PäpsteTrüffeln galten über Jahrtausende als Luxusgut. Vor 4000 Jahren tauchten die ersten Wüstentrüffeln auf Tontafeln der Sumerer auf, als Geschenk für Könige. Die alten Griechen priesen sie als Aphrodisiakum, die Römer widmeten ihnen Gedichte, der Prophet Mohammed nannte sie das biblische Manna.
Im Spätmittelalter waren Schwarze Trüffeln in Europa Gaben für Prinzessinnen oder Päpste; die Weissen Trüffeln führte die Florentinerin Caterina de’ Medici im 16. Jahrhundert am französischen Hof ein. Und seither, schreibt der Autor Christian Volbracht in seinem Buch «Die Trüffel», stünden sich die beiden in kulinarischer Konkurrenz gegenüber: die schwarze Périgord, der «Diamant der Küche», und die weisse Tuber magnatum, die Trüffel der Mächtigen.
Ob sie die Tafeln von wohlhabenden Bürgern bereicherten, an Staatsbanketten aufgetischt oder in Gourmetrestaurants grammweise über Gerichte gehobelt wurden: Stets signalisierten Trüffeln, dass man sie sich leisten konnte. Sie waren ein essbares Statussymbol.
Heute ist ihr Geschmack allgegenwärtig. Es gibt kaum ein Lebensmittel, das es nicht auch mit Trüffeln gibt: In den Regalen der Detailhändler stehen Trüffelhonig und Trüffelkäse, Trüffelsnacks, Trüffelpasta oder Trüffelsalz. Restaurants servieren Truffle-Fries und Truffle-Burger. Und in manchen Bars mixt man Truffle-Negroni oder schenkt Trüffelgin aus.
Wieso sind Trüffeln plötzlich erschwinglich?
Was Etiketten verschweigenDie Demokratisierung von Luxusprodukten ist ein bekanntes Phänomen. Verzehrt sich das Volk nach Leckereien der Reichen, findet der Markt Wege, den Wunsch zu erfüllen. Es gibt mehrere Strategien, um den Massen teure Lebensmittel zugänglich zu machen, und oft greifen sie ineinander.
Erstens: der Transport. Der Preis von exklusiven Südfrüchten wie der Ananas sank stark, nachdem Kühlcontainer erfunden worden waren – und Ananas-Züchtungen, die weniger rasch verfaulten. Zweitens: die Industrialisierung der Produktion. Räucherlachs wandelte sich vom Festschmaus zur Alltagsware, als man ihn nicht mehr fischen musste, sondern in Aquakulturen züchten konnte. Drittens: Ersatzprodukte. Statt des gewünschten Produkts bietet man eine vergleichbare, aber günstigere Alternative an. Prosecco zum Beispiel ist auch deshalb so beliebt, weil er wie Champagner perlt, ohne so viel zu kosten.
Bei den Trüffeln aber kommt eine vierte Strategie ins Spiel: «Man verkauft den Leuten den billigen Geschmack statt des teuren Produkts», sagt Thomas Flammer. In seinem Garten studiert er die Zutatenliste der Trüffelchips. 0,4 Prozent Trüffeln sind da drin, weniger als ein halbes Gramm pro Packung. «Davon schmeckt man nichts», sagt Flammer. Was man schmeckt, steht weiter unten: «Trüffelaroma.» Das ist die Zutat, die den Trüffelboom erst möglich gemacht hat.
Aromastoffe sind das schmeckende und schmutzige Geheimnis der Lebensmittelindustrie. Ihre Bezeichnungen scheinen einzig dazu erfunden zu sein, Laien zu verwirren. «Aroma», «naturidentisches Aroma» oder «Trüffelaroma» haben nichts mit echten Trüffeln zu tun; der Geschmack entsteht im Labor, nicht im Wald. Hauptinhaltsstoff ist meist das sogenannte Trüffelsulfid, eine flüchtige Schwefelverbindung. Er wird billig aus Flüssiggas gewonnen.
«Natürliches Aroma» stammt auch nicht von Trüffeln. Der Begriff bedeutet, dass ein Aromastoff nicht synthetisch, sondern aus pflanzlichen oder tierischen Stoffen hergestellt wird. Das können manche Käsesorten, gekochtes Fleisch oder Shiitakepilze sein, in denen die typische Schwefelverbindung der Weissen Trüffel ebenfalls vorkommt. Allerdings ist dieses Aroma teurer als jenes aus Flüssiggas und wird deshalb seltener verwendet. Was so gut wie nie auf der Zutatenliste steht, ist «natürliches Trüffelaroma». Dann – und nur dann – müsste der Aromastoff aus echten Trüffeln stammen.
In der Trüffelmayo stecken noch weniger Trüffeln als in den Chips, null Prozent, dafür wieder Aroma. «Furchtbar», sagt Flammer erneut. «Aber wenigstens ehrlich.» Geschmacklich mache es sowieso keinen Unterschied. Sprenkeln Trüffelstückchen ein Produkt, dient das nur einem Zweck: dem Konsumenten vorzugaukeln, sie seien für den Geschmack verantwortlich.
Eine Cartoon-Version des PilzesFlammer probiert weiter: «grüne Oliven, mit Trüffeln gefüllt» aus der Dose. In der Schweiz müssen Produkte mit der Bezeichnung «getrüffelt» oder «mit Trüffeln» mindestens drei Prozent Trüffeln enthalten. Auf den Chips und der Mayo steht deshalb nur «mit Trüffelgeschmack».
In den Trüffeloliven sind tatsächlich sechs Prozent Trüffelpüree drin. «Aber da stellt sich sofort die Frage, was für Trüffeln das sind», sagt Flammer. Es gibt verschiedene Arten, die sich im Geschmack und im Preis enorm unterscheiden. Die edlen schwarzen Périgord (Tuber melanosporum) kosten bis zu 2000 Franken pro Kilo, die aromatischen Burgundertrüffeln (Tuber uncinatum) 800 Franken. Die Sommertrüffeln (Tuber aestivum) mit deutlich weniger Aroma gibt es für rund 250 Franken. Und Chinatrüffeln (Tuber indicum) sind für unter 100 Franken zu haben, sie sind aber beinahe geschmacklos.
Ähnlich verhält es sich bei Produkten mit «Weisser Trüffel»: Man denkt an die kostbare Tuber magnatum für 5000 Franken pro Kilo, aber meist steckt die nur ein Zehntel so teure Weisse Frühlingstrüffel (Tuber albidum pico oder Tuber borchii) drin, die völlig anders schmeckt.
Ob bei Trüffelcrèmes, Trüffelsaucen oder Trüffelscheiben in Öl: Meist handelt es sich um eine billige Art, die mit künstlichem Aroma versetzt wird. Und sobald dieses Aroma drin ist, spielt die Qualität der Trüffeln keine Rolle mehr. Aromen sind an der Sättigungsschwelle des menschlichen Empfindens designt. Man kann Trüffeln nicht mit Aroma aufpeppen. Schon die kleinste Menge davon überlagert den echten Geschmack.
Trüffelaroma ist die Cartoon-Version der Trüffel, plakativ, eindimensional und übertrieben intensiv. Manche Gastronomen verabscheuen es so innig wie wortgewandt. Besonders das künstliche Trüffelöl, die Vorhut des heutigen Booms. Der britische Starkoch Gordon Ramsay nannte es «eine der penetrantesten und lächerlichsten Zutaten». Die amerikanische Kochbuchautorin Martha Stewart mahnte, es ruiniere fast jedes Gericht. Und Anthony Bourdain, der Gourmet-Abenteurer, verspottete Trüffelöl als das «Ketchup der Mittelklasse».
Thomas Flammer betont: Jeder Mensch schmeckt anders. Manche können den Geruch und den Geschmack von Trüffeln gar nicht wahrnehmen, anderen erscheint er so stark, dass er sie an Urin oder Schweiss erinnert. Es gibt Leute, die glauben, sie mögen Trüffeln nicht, weil sie nur das künstliche Aroma kennen. Probieren sie eine echte Trüffel, sind sie mit einem Mal begeistert. Umgekehrt haben sich viele an die Industrieprodukte gewöhnt und finden echte Trüffeln zu wenig «trüfflig». Deshalb träufeln Restaurants häufig zusätzlich künstliches Trüffelöl über echte Trüffelgerichte. Man will die Gäste ja nicht enttäuschen.
Was rät Flammer jemandem, der noch nie Trüffeln probiert hat, weder als künstliches Aroma noch frisch? «Langsam beginnen und später steigern», sagt er. Er empfiehlt, mit einer Schweizer Burgundertrüffel zu starten. Diese findet man zum Beispiel auf den Schweizer Trüffelmärkten, die jeweils ab September stattfinden. Eine kleine Knolle kaufen und damit etwas Einfaches zubereiten, ein Rührei vielleicht oder Pasta. «Das wird wunderbar und kostet vielleicht ein Zwanzigernötli.»
Wobei: Eigentlich braucht man nicht einmal ein Zwanzigernötli. Burgundertrüffeln gibt es auch gratis. Wie verborgene Schätze wachsen sie in den Wäldern und Pärken der Schweiz, oft sogar mitten in der Stadt. Wenn nicht gerade Pilzschonzeit herrscht, darf jede und jeder sie ernten. Es gibt dabei nur ein Problem: Sie befinden sich 5 bis 30 Zentimeter unter der Erde. Um sie zu finden, braucht man einen Trüffelhund.
Zum Beispiel einen wie Burrito.
Schatzsuche auf vier PfotenNoch ist der sieben Monate alte Rüde nicht ganz so weit. Er zappelt in einem Aargauer Waldstück zwischen den Bäumen herum. Burrito ist ein Lagotto Romagnolo, eine Rasse, die man auch einfach Trüffelhund nennt, weil er in Italien traditionell bei der Suche hilft. Er bringt also beste Anlagen mit und ist voll motiviert. Vielleicht sogar etwas zu motiviert. Vor lauter Aufregung kann er kaum stillstehen. «Er ist sehr, sehr hibbelig», sagt seine Besitzerin Olivia Kiefer, eine Tierärztin. «Halt ein bisschen so wie ich.»
An diesem Nachmittag besucht Burrito die Trüffelschule. Dafür hat die Kursleiterin Denise Stalder am Wegrand hohle Plastiktrüffeln abgelegt, die mit einem Stückchen Trüffel gefüllt sind. Gerade hat Burrito einen solchen Dummy am Wegrand entdeckt. «Jetzt loben, fest loben», ruft Stalder. «Damit er weiss, dass du das richtig toll findest!» Olivia Kiefer sagt «Feiiiiiiin, Burrito, feiiiin», und schraubt eine Tube auf.
Auch einem Trüffelhund wie Burrito ist das Trüffeln nicht angeboren. Wie jeder Spürhund muss er zuerst auf einen Geruch konditioniert werden, wie es im Jargon heisst. Ob das Trüffeln oder Drogen sind, macht fürs Training keinen Unterschied. Das Prinzip ist simpel: Burrito soll den Geruch mit etwas Grossartigem verbinden. Deshalb hat Olivia Kiefer im vergangenen Monat sehr häufig demonstrativ gejauchzt, überschwänglich gelobt und immer wieder Burritos Lieblingssnack ausgepackt: Leberpaste, direkt aus der Tube.
Jeder Hund ist ein potenzieller TrüffelhundDer Trüffelboom hat nicht nur mit Trüffelaroma zu tun, sondern auch mit Menschen wie Olivia Kiefer. Die Trüffeljagd ist zu einem Hobby für Leute geworden, die ihre Freizeit gern in der Natur verbringen. So wie Wandern, Bergsteigen, Pilze suchen, nur mit Hund.
Schon immer waren die Menschen beim Trüffeln auf Tiere angewiesen. Zuerst auf das Trüffelschwein. Anders als Hunde suchen Schweine von sich aus nach dem Geruch. Aber sie beschädigen dabei den Boden, graben auch unreife Pilze aus und fressen ihren Fund am liebsten selbst. Als man lernte, Hunde auf den Geruch abzurichten, verdrängten sie die Schweine.
Auch Insekten können helfen. Die Trüffelfliege schwirrt oft über den Stellen, wo die Knollen wachsen, weil sie ihre Eier in der Nähe ablegt. Doch diese Methode erfordert ein gutes Auge, Geduld und eine hohe Frustrationstoleranz, wenn man seine Ausbeute mit der eines Hundes vergleicht.
In der Schweiz gab es schon früher Trüffeljäger. Dank ihnen kam einst ein ungemein populäres Produkt auf den Markt. Der Freiburger Lebensmittelhersteller Claude Blancpain präsentierte 1950 eine «Sandwich-Crème mit Trüffel-Leber»: Le Parfait. Die Trüffeln dafür lieferten ihm Jäger aus der Region. Allerdings wurden sie bald durch Herbsttrompeten ersetzt, die oberirdisch wachsen und leichter zu finden sind. Danach geriet die Kunst des Trüffelns nicht ganz, aber fast in Vergessenheit.
Heute durchstreifen Tausende, vielleicht auch zehntausend Trüffeljäger mit ihren Hunden die Schweizer Wälder. Niemand kennt ihre genaue Zahl. Wie der Boom begonnen hat, ist hingegen klar. Er nahm seinen Anfang, als es hierzulande wieder Hunde gab, die auf den Geruch abgerichtet waren, oftmals aus Italien. Und wirklich Fahrt nahm das Hobby mit den ersten Trüffelkursen für Laien auf. Von diesem Moment an war jeder Hund ein potenzieller Trüffelhund.
Kurse, die zwischen 35 und 1200 Franken kostenDenise Stalder hat inzwischen Hunderten von Hunden das Trüffeln beigebracht. Sie war die erste Trainerin, die in der Schweiz professionelle Kurse anbot. Heute ist die Auswahl an Ausbildungen riesig und unübersichtlich. Sie reichen vom reinen Online-Kurs für 35 Franken bis zum mehrteiligen privaten Intensivtraining für 1200 Franken.
Bei Stalder kosten Theorie- und Praxisteil je 100 Franken, wobei sie nur Hundehalter in den Wald mitnimmt, die zuerst die Theorie absolviert haben. Stalder, eine ausgebildete Kynologin, will keine Schnellbleiche anbieten. «Es geht mir nicht darum, dass ein Hund möglichst rasch möglichst viele Trüffeln findet», sagt sie. Der Erfolg hänge vom Besitzer ab. «Eigentlich bringe ich den Menschen das Trüffeln bei, nicht den Hunden.»
Olivia Kiefer hat mit Burrito bereits viel Zeit in ihre Zukunft als Trüffeljägerin investiert. Vor einem Monat nahm sie an Stalders Theoriekurs teil, der seit Corona online stattfindet. In eineinhalb Stunden lernen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dort die Grundlagen des Trüffelns: Was sind Trüffeln? (Schlauchpilze, die unter der Erde in Symbiose mit bestimmten Bäumen wachsen.) Wo findet man sie? (In kalkhaltigen Böden, bei Bäumen wie Eichen, Buchen oder Haselsträuchern.) Wie erntet man sie so, dass neue nachwachsen? (Man gräbt sie vorsichtig aus und füllt das Loch wieder mit Erde, damit das Pilzmyzel, das unsichtbare Wurzelgeflecht, nicht austrocknet.) Und natürlich: Wie bringt man seinen Hund dazu, nach dem Geruch zu suchen?
Die Antwort: mit Lob und Leberpaste. Olivia Kiefer hat im vergangenen Monat jeden Tag mit einem Trüffeldummy geübt. Zuerst machte sie es Burrito einfach. Sobald er an dem Dummy schnupperte, jauchzte sie und liess ihn an der Tube schlecken. Später versteckte sie den Dummy in der Wohnung, dann im Garten. Inzwischen findet Burrito die Plastiktrüffel sofort. Aber das bedeutet nicht, dass er bereits den Trüffelgeruch verinnerlicht hat. Vielleicht folgt er dem Geruch des Plastiks. Oder dem seiner Besitzerin, die den Dummy beim Verstecken in der Hand hielt.
Ein Fund gleich beim ersten VersuchAn diesem Dienstagnachmittag im August steht deshalb der nächste Schritt an: Praxistraining im natürlichen Habitat, einem Laubwald. Auch hier wird die Schwierigkeit nach und nach gesteigert. Zunächst liegen die Dummys am Wegrand, danach gräbt man sie leicht ein. Schliesslich werden echte Trüffeln im Wald versteckt. Und als Höhepunkt soll der Hund das Gelände absuchen und wilde Trüffeln finden. «Loben», sagt Stalder immer wieder, oder auch «mehr Ruhe reinbringen», wenn Hund und Frauchen zu hibbelig werden.
Denise Stalders Begeisterung für Trüffeln begann mit einer Vorführung und einem unerwarteten Fund. Anfang der nuller Jahre besuchte sie mit ihrer Tochter Maja und der Hündin Aysha eine Hundeausstellung. Ein italienischer Trüffeljäger zeigte dort, wie man in seiner Heimat nach den Pilzen sucht. Zuerst liess er seinen eigenen Hund an einem Hang nach versteckten Trüffeln stöbern, danach durften die Zuschauer ihr Glück versuchen. Maja wollte das unbedingt mit Aysha ausprobieren. Die Hündin rannte das Hügelchen hoch, nahm oben etwas in die Schnauze. «Wir dachten erst, es sei Hundekacke, und wollten schimpfen», sagt Stalder. «Aber es war ein Trüffelchen.»
Kurz darauf las Stalder in der Zeitung, dass man in Bern Trüffeln mit Hunden gefunden habe. Und auch am Rhein, in der Nähe ihres Wohnorts, solle es welche geben. Stalder machte sich ohne grosse Hoffnung auf die Suche. Und Aysha fand gleich am ersten Nachmittag ihre erste wilde Trüffel. Der Erfolg an der Ausstellung hatte bereits gereicht, um sie auf den Geruch zu trainieren.
Als Stalder daraufhin den Pilzkontrolleur anrief, um zu fragen, ob das Trüffelsuchen in der Gegend überhaupt erlaubt sei, antwortete der, sie könne suchen, so viel sie wolle, es gebe sowieso keine. Der Fund war eine kleine Sensation. Bald darauf entwickelte Stalder eine Methode, Hunden das Trüffeln gezielt beizubringen. Und sie begann, Trüffelhunde zu züchten. Ihre Zucht heisst Spirito del bosco, der Geist des Waldes.
Die Gefahren des TrüffelnsZurück im Wald, sucht inzwischen ein anderes Team nach Trüffeln: Sandra Berger und Hailey. Die vierjährige Hündin ist ein Jack-Russell-Terrier. Denise Stalder hatte auch schon Golden Retriever, Chihuahuas und natürlich viele Mischlinge in ihren Kursen. Die Rasse ist unwichtig, solange ein Hund eine gute Nase und Freude am Suchen hat.
Hailey trainiert schon etwas länger als Burrito und bleibt dabei gelassener. Die versteckten Dummys und Trüffeln hat sie schnell erschnüffelt, jetzt darf sie nach wilden Trüffeln suchen. Sie gräbt unter einer Buche. Ihre Besitzerin schaut nach. «Da ist nichts, vielleicht riecht sie eine Maus», sagt sie. Denise Stalder zögert. «Wie sie gräbt – das sieht für mich schon nach Trüffelsuchen aus.» Doch Hailey verliert das Interesse, zieht weiter, und ihre Besitzerin folgt. «Die beiden sind nah dran», sagt Stalder. Bei Burrito und Olivia Kiefer hingegen könnte es noch etwas dauern. «Trüffeln findet, wer ruhig ist.»
An diesem Tag bleibt der Erfolg aus: Keines der beiden Teams findet wilde Trüffeln. Aber zum Abschluss des Trainings lässt Stalders Tochter Maja noch ihre eigenen beiden Hunde das Waldstück absuchen. Es dauert keine Minute, bis sie fündig werden. Und zwar genau an der Stelle, an der Hailey zuvor gegraben hat.
Die meisten Kursteilnehmer trüffeln später für den Eigengebrauch. Auch Denise Stalder sagt: «Ich habe schnell wieder damit aufgehört, Trüffeln zu verkaufen.» Wenn man daraus ein Geschäft machen wolle, renne man nur noch von Baum zu Baum. Und reich wird in der Schweiz sowieso niemand damit. «Es ist höchstens ein Zustupf ans Futter und an den Tierarzt.»
Wirklich fleissige Trüffeljäger können ein paar tausend Franken im Jahr verdienen, wenn sie ihre Funde auf Märkten, übers Internet oder an Restaurants verkaufen. Allerdings könnte sich das in Zukunft ändern. Inzwischen werden in der Schweiz auch die edlen schwarzen Périgord-Trüffeln gefunden – und sogar die weisse Alba-Trüffel, die wertvollste Art überhaupt. 2012 buddelte ein Trüffelhund die erste Alba-Trüffel nördlich der Alpen in einem Genfer Stadtpark aus; ab 2021 wurden mehrere Funde um Zürich gemeldet.
Das klingt vielversprechend, freut aber nicht alle Trüffeljäger. Bei Kilopreisen von 5000 Franken für Alba-Trüffeln wird aus einem Hobby ein lukratives Geschäft, womöglich mit den Auswüchsen, die in Italien Alltag sind. Dort stehlen Konkurrenten Trüffelhunde – oder sie vergiften sie; die Rede ist von Hunderten im Jahr. Der Kampf um das «weisse Gold» verschärft sich, weil die Zahl der Funde zurückgeht. Der Klimawandel bedroht auch eine der teuersten Delikatessen der Welt.
Wenn Trüffeln so wertvoll und gleichzeitig so gefragt sind – warum baut man sie nicht einfach an?
Wie Plantagen wiederbelebt wurdenHoch über Büren an der Aare geht Stefan Spahr durch einen Wald, den er 2011 selbst angepflanzt hat: die erste Trüffelplantage in der Deutschschweiz. Auf einer Fläche von sechs Tennisplätzen wachsen gut hundert Bäume, darunter Hainbuche, Schwarzkiefer, Strauchhasel. Hundert Bäume sind nicht viel, aber Spahr will auch nicht möglichst viele Trüffeln ernten. Sein künstlicher Wald ist ein Schaugarten und eine Art Versuchsanlage für die Pilzarten der Zukunft.
Stefan Spahrs Begeisterung für Trüffeln hat mit diesem Stück Land und zu vielen toten Tieren begonnen. Die 15 Aren gehörten zu dem Einfamilienhaus, das er 1991 erwarb. Er wollte das Land sinnvoll nutzen. Zuerst hielt er Hühner darauf, später Kaninchen. Doch die überlebten nicht lang. Es gibt hier oben Füchse und andere Räuber. «Der Wald ist einfach zu nah.»
Eines Tages kam Spahrs Vater von einer Reise durch Frankreich zurück und erzählte von Trüffelplantagen. Sie haben dort eine lange Tradition. Schon vor 200 Jahren pflanzten Bauern gezielt Eichen an, um Périgord-Trüffeln zu kultivieren. Nachdem die Reblaus ab 1865 eine Million Hektaren Weinberge vernichtet hatte, erlebten die Plantagen auf den brachliegenden Flächen einen Boom. Ende des 19. Jahrhunderts wurden in Frankreich jährlich tausend Tonnen Trüffeln im Jahr geerntet.
In den 1970er Jahren war es noch ein Fünfzigstel davon. Die meisten Plantagen waren wegen der Weltkriege, der Landflucht und der intensiven Landwirtschaft verschwunden. Wein oder Obst anzubauen, schien sicherer und einträglicher als der Anbau von Trüffeln.
Inzwischen aber hat man die Plantagen wiederbelebt. Das liegt an den Fortschritten der Forschung. Den Wissenschaftern war es gelungen, Baumsetzlinge gezielt mit Trüffelsporen zu impfen. Das garantierte nahezu, dass später Trüffeln wuchsen. Ausserdem waren die Knollen so teuer geworden, dass die Bauern erneut ein Geschäft witterten.
Ohne Hund geht nichtsStefan Spahr begann 2011, sein Brachland in ein zukünftiges Trüffelparadies zu verwandeln. Dafür wandte er sich an die österreichische Firma Trüffelgarten, die Standorte und Böden analysiert und mit Trüffelsporen geimpfte Bäume verkauft. Die Setzlinge wachsen zwei Jahre lang unter strenger Kontrolle auf, damit keine anderen Pilzsporen an ihre Wurzeln gelangen.
Fremde Pilzsporen sind auch ein Problem auf Spahrs Plantage. Nicht nur für die Hühnerhaltung, auch für die Trüffelproduktion ist der Wald eigentlich zu nah. Von dort wandern die Sporen von 900 anderen Pilzen ein, Konkurrenten der Trüffel, die meisten dominanter.
«Aber der Wald ist halt da», sagt Spahr. So sei es oft bei Trüffelplantagen: Man arbeite mit der Realität. Und es brauche Geduld. «In den ersten Jahren steckt man Geld und Arbeit hinein, holt aber noch nichts heraus.» Je nach Trüffelart dauert es drei bis sechs Jahre bis zum ersten Fund. Bei Spahr waren es sieben. Er konnte 2018 seine erste Burgundertrüffel ernten.
Inzwischen ist der Erwachsenenbildner zum Experten im Trüffelanbau geworden. Er hat die Schweizer Vertretung der Firma Trüffelgarten übernommen. Seither hat er geholfen, in der Schweiz vierzig Plantagen auf insgesamt 20 Hektaren aufzubauen. Ausserdem bildet er die dafür nötigen Hunde aus. Denn selbst in Plantagen lassen sich Trüffeln ohne ihre Hilfe kaum finden.
Betriebe ohne Hund können auf den Verband der Schweizer Trüffelproduzenten zählen, dessen Präsident Spahr ist. Der Verband stellt Erntehelfer mit Hunden bereit. Auf grossen Plantagen, wie es sie in Frankreich, aber auch in Spanien, Australien und Neuseeland gibt, ist Erntehelfer sogar ein Job. Die Betriebe, die dort teilweise 15 bis 20 Hektaren umfassen, engagieren Trüffeljäger mit Hunden. Sie schreiten die Baumreihen regelmässig ab und markieren die Fundstellen, damit man die Trüffeln dort später ausgraben kann.
Ein professioneller Trüffelhund sollte nämlich nicht selbst nach den Knollen graben, er zeigt sie nur mit der Pfote an. So macht es auch Ava, der Border Collie von Stefan Spahr. Aufgeregt tapst sie unter einer Hainbuche. Spahr kniet nieder und holt vorsichtig eine tennisballgrosse Burgundertrüffel aus der Erde. Obwohl die Burgundertrüffel in den Schweizer Wäldern besonders häufig vorkommt, ist sie nicht einfach zu kultivieren, weil sie besonders sensibel auf andere Pilzsporen reagiert. «Sie ist ein bisschen eine Sissi. Und sie ist nicht die Zukunft», sagt Spar.
Trüffeln für 75 000 Franken im JahrDie Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) untersucht seit fünfzehn Jahren, wie sich der Klimawandel auf die Burgundertrüffeln auswirkt. Die Erkenntnis: schlecht. Steigt die durchschnittliche Sommertemperatur um ein Grad, sinkt die Ernte um ein Viertel. Bei einem Anstieg um drei Grad findet man keine Burgundertrüffeln mehr.
Spahr experimentiert deshalb auch mit anderen Arten, Wintertrüffeln, Frühlingstrüffeln und auch der Périgord; 2020 konnte er die erste ernten. Die «Diamanten der Küche» könnten in der Schweiz vom Klimawandel profitieren; allerdings mögen sie die lehmigen Böden nicht, die hierzulande häufig sind. Aber wenn sie gedeihen, haben sie viele Vorteile: Nach vier Jahren kann man bereits ernten. Und sie sind lukrativ.
Stefan Spahr rechnet vor, wie viel Geld eine Périgord-Plantage einbringen kann, die eine Hektare umfasst. Man könne mit 40 bis 50 Kilogramm Trüffeln rechnen, davon etwa die Hälfte in bester Qualität, für die rund 2000 Franken bezahlt werden. Für die andere Hälfte gibt es etwa halb so viel. Das macht rund 75 000 Franken im Jahr.
Die Weisse Trüffel hingegen bleibt vorerst ein Traum. Wie viele andere Versuchsbetriebe weltweit experimentiert auch Spahr damit. Aber das klappt nirgends so, dass es sich rechnen würde. Sollte es eines Tages gelingen, Tuber magnatum zu kultivieren, würde das die Trüffelwelt revolutionieren. Spahr vermutet, dass es in zehn bis fünfzehn Jahren so weit sein könnte.
Wer jetzt Lust auf Trüffeln bekommen hat, kann sich die kleinstmögliche Plantage aufbauen: ein einzelnes Trüffelbäumchen für rund 40 Franken kaufen und im eigenen Garten pflanzen. Eine ausführliche Pflegeanleitung gibt es dazu. Doch manchmal zahlt sich auch Faulheit aus. Ein Kunde von Stefan Spahr legte eine kleine Plantage an und machte dann einfach – nichts. Zehn Jahre später kam Spahr mit seinem Hund vorbei und holte kiloweise Trüffeln aus dem verwilderten Wald.
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