Fast 300 Opfer: Großprozess gegen pädophilen Chirurgen beginnt
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Nach der schrecklichen Geschichte von Gisèle Pélicot und ihrem Ehemann ist in Frankreich ein noch schrecklicherer Gerichtsprozess ans Licht gekommen. Der Prozess gegen den pensionierten Gastroenterologen Joël Le Scouarnec hat am Montag begonnen. In der Akte heißt es, Le Scouarnec habe zwischen 1986 und 2014 Krankenhauspatienten im Alter von zwei Jahren bis ins frühe Erwachsenenalter sexuell missbraucht. Die gesamte französische Region Bretagne fürchtete sich vor dem Vorgehen des Arztes.
Die Zahl der an Frankreichs größtem Prozess wegen Kindesmissbrauchs beteiligten Personen ist erschütternd und unfassbar: 299 mutmaßliche Opfer wurden über einen Zeitraum von 25 Jahren in zehn Krankenhäusern und Kliniken sexuell missbraucht – und alle von ein und demselben Arzt, so die Staatsanwaltschaft.
Andere Details sind nicht weniger auffällig. Von 1986 bis 2014 missbrauchte der heute 74-jährige ehemalige Chirurg, der wegen einer früheren Verurteilung wegen Vergewaltigung und Kindesmissbrauchs eine 15-jährige Gefängnisstrafe verbüßt, in der gesamten französischen Region Bretagne Krankenhauspatienten im Alter von zwei Jahren bis zum jungen Erwachsenenalter sexuell und vergewaltigte sie.
Le Scouarnec arbeitete in privaten und öffentlichen Einrichtungen, obwohl er 2005 wegen des Besitzes von Bildern von Kindesmissbrauch verurteilt worden war. Le Scouarnec registrierte sich daraufhin auf einer Website zum Austausch von Bildern pädophiler Personen und erregte damit die Aufmerksamkeit der Sicherheitsbehörden. Die viermonatige Gefängnisstrafe des Mannes wurde zur Bewährung ausgesetzt.
Im Jahr 2020 wurde er des Kindesmissbrauchs und der Vergewaltigung der Tochter seiner Nachbarn im Hinterhof für schuldig befunden. Daraufhin wurde er zu einer 15-jährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Mehr als ein Dutzend seiner Patienten versuchten, sich dem laufenden Verfahren gegen den grausamen Pädophilen anzuschließen, doch das französische Gesetz hinderte sie daran, weil ihre Ansprüche die 30-jährige Verjährungsfrist überschritten hatten.
Aus den Gerichtsunterlagen geht hervor, dass Le Scouarnec den Ermittlern sagte, er könne sich an die einzelnen mutmaßlichen Angriffe nicht erinnern, könne aber ähnliche Taten begangen haben.
Der Prozess, der voraussichtlich vier Monate dauern wird, hat bereits landesweite Aufmerksamkeit erregt. Zudem erfolgte der Vorfall nur wenige Wochen nach dem grausamen, mehrteiligen Prozess gegen Dominic Pelico, der zuließ, dass verschiedene Männer seine Frau Gisele vergewaltigten.
Die ältesten mutmaßlichen Opfer im aktuellen Fall sind inzwischen fast 50 Jahre alt, das jüngste ist 17.
Der Prozess ist so groß, dass ein ganzer Universitätshörsaal neben dem Gerichtsgebäude belegt werden musste, um 400 Personen unterzubringen, darunter die mutmaßlichen Opfer, ihre Familien, Anwälte und Medien.
Bei Durchsuchungen seines Eigentums und seines Krankenhausbüros wurden seine Tagebücher und etwa 70 Kinderpuppen gefunden. Nach Ansicht der Ermittler teilte er vor seiner Verhaftung mit ihnen „sein tägliches Leben“, gab ihnen Namen, kleidete sie an und benutzte sie für sexuelle Befriedigung.
Wie Francesca Satta, die Anwältin mehrerer Ankläger, gegenüber CNN erklärte, hatte Le Scouarnec „kein Mitgefühl, keine Emotionen, keine Gefühle für den kleinen Mann, den er buchstäblich als Sexualobjekt betrachtete.“
Auch andere Anwälte bestätigen, dass er ein sehr kalter Mensch ohne Empathie sei. Le Scouarnecs Status als bürgerlicher Chirurg half ihm wahrscheinlich dabei, so lange dem Verdacht zu entgehen. Seine Kollegen jedoch hegten ein Argwohn gegenüber dem Gastroenterologen. Der Psychiater Thierry Bonvalot stellte Le Scouarnec sogar zur Rede und zwang ihn zum Rücktritt.
Im Mittelpunkt des jüngsten Falles stehen als Beweismittel Le Scouarnecs eigene Tagebücher, in denen er wahre Vorfälle von Kindesmissbrauch beschreibt. Sein Anwalt behauptet, sie beschreiben Fantasien, die er nie in die Tat umgesetzt habe.
Sie sind so umfassend, dass ein während des Prozesses im Jahr 2020 entdecktes Tagebuch, in dem oft Zeit und Ort der Vergewaltigungen, die Identität der Opfer und sogar ihre Adresse vermerkt waren, den Ermittlern dabei half, eine erschreckende Zahl mutmaßlicher Vergewaltigungen zu identifizieren.
Der Angeklagte gab selbst zu, dass er im Jahr 1990 begonnen habe, ein Tagebuch zu führen und dieses bis 2016, ein Jahr vor seiner Pensionierung, regelmäßig geführt habe, wobei er pro Jahr zwischen 40 und 100 Seiten an Einträgen erstellt habe.
Diese widerwärtigen Aufzeichnungen wiesen darauf hin, dass es auch bei medizinischen Untersuchungen zu Gewalt kam. In zahlreichen den Gerichtsdokumenten beigefügten Tagebucheinträgen gibt Le Scouarnec zu, ein Pädophiler zu sein.
mk.ru