Begegnungen mit Margot Honecker: Sie liebte die DDR – bis zuletzt

In den Jahren 2012 und 2013, während meiner Zeit als britischer Botschafter in Chile, traf ich mich dreimal zu ausführlichen Gesprächen mit einer der letzten prominenten Vertreterinnen des untergegangenen Ostblocks: Margot Honecker, der dritten Ehefrau des langjährigen DDR-Staats- und Parteichefs Erich Honecker und von 1963 bis 1989 selbst Ministerin für Volksbildung der Deutschen Demokratischen Republik. Ihre zentrale Aufgabe bestand darin, eine ideologisch konforme, kommunistische Generation zu formen. Margot Honecker, geborene Feist, war Mitte 80, als ich sie kennenlernte. Sie lebte zurückgezogen in Santiago de Chile und verstarb 2016 im Alter von 89 Jahren.
Als Student hatte ich in den frühen 1980er-Jahren im Rahmen eines seltenen britischen Universitätsaustauschs die Gelegenheit, einige Zeit in der DDR zu verbringen. Auch lange nach dem Zusammenbruch dieses freudlosen, düsteren marxistischen Experiments ließ mich die Faszination für das Land und sein System nicht los. 2017 war die Berliner Mauer bereits so lange verschwunden, wie sie einst existiert hatte – und im Jahr 2030 wird die DDR selbst seit mehr Jahren Geschichte sein, als sie Bestand hatte.
Aber ein Blick auf die Landkarte der jüngsten Bundestagswahl, auf der die höchsten AfD-Stimmenanteile nahezu deckungsgleich mit dem Gebiet des ehemaligen Ostdeutschlands verlaufen, zeigt: Die Teilung Deutschlands ist in mancher Hinsicht noch immer spürbar – wenn auch auf eine Weise, die sich die ehemaligen kommunistischen Machthaber kaum hätten vorstellen können.
Die DDR war ein gescheitertes Experiment, der Versuch, den Nationalsozialismus, durch eine andere Tyrannei, den Sowjetmarxismus, zu ersetzen. Beide deutschen Formen des Totalitarismus hörten schließlich ganz auf zu existieren, die erste, weil sie einen aggressiven, völkermörderischen Krieg verlor, den sie selbst entfesselt hatte; die zweite, weil sie von ihrem eigenen Volk gestürzt wurde, das die Angst, die Unterdrückung und die alltägliche Gängelung satthatte.

Margot Honecker gehörte zu den tief überzeugten Gläubigen der sozialistischen Idee. Geprägt von ihrer Jugend im entstehenden DDR-Staat blieb sie ihrer Überzeugung treu – und das lange über den Zeitpunkt hinaus, als die einst gefürchteten Stasi-Gefängnisse längst zu makabren Touristenattraktionen geworden waren.
1992 landete sie in Chile, und ein Jahr später folgte ihr Mann, wo er das letzte volle Jahr seines Lebens verbrachte. Damit entzogen sich beide der Strafverfolgung für die Verbrechen der trostlosen Diktatur, die sie 18 Jahre lang unangefochten geführt hatten.
Die damalige linksgerichtete chilenische Regierung zeigte sich dankbar dafür, dass die DDR rund 2000 Anhänger des marxistischen Präsidenten Salvador Allende (1970-1973) als Flüchtlinge aufgenommen hatte – viele von ihnen wurden zu erbitterten Gegnern seines militärischen Nachfolgers Augusto Pinochet. Unter den Flüchtlingen befand sich auch Michelle Bachelet, die später zweimal Präsidentin Chiles wurde und eine erneute Kandidatur bei den anstehenden Wahlen in diesem Jahr bereits ausgeschlossen hat.
Honeckers Tochter Sonja heiratete einen jener chilenischen Exilanten – damit war auch eine direkte familiäre Verbindung nach Chile gegeben. In Moskau waren sie politisch nicht mehr willkommen, im wiedervereinigten Berlin unerwünscht, und auch im übrigen Europa, das sich nach dem Ende des Kalten Krieges als „vereint und frei“ verstand, fanden sie keine Aufnahme.
Zwanzig Jahre später war es nicht leicht, Margot Honecker aufzuspüren. Zu diesem Zeitpunkt lebte sie fast wie eine Einsiedlerin im östlichen Stadtteil La Reina in Santiago, am Rand der Anden – und sprach noch immer kaum Spanisch. Erst nach rund einem Jahr vorsichtiger Gespräche über Kontakte in der Kommunistischen Partei Chiles war sie zu einem Treffen bereit. Gegenüber Außenstehenden blieb sie äußerst misstrauisch und vertraute nur einem kleinen Kreis politisch nahestehender Personen.
Rechtfertigung der Stasi als „Schwert und Schild“Als wir uns schließlich zum ersten Mal in der Residenz der britischen Botschaft trafen, fragte sie wiederholt – ausschließlich auf Deutsch –, warum sich die britische Regierung für ihre Ansichten interessiere. Ich versuchte ihr auf diplomatische Weise zu erklären, dass dies nicht der Fall sei und es sich lediglich um eine Anfrage aus rein persönlichem Interesse handele, eine Gelegenheit, ein Kapitel der Geschichte, das ich direkt erlebt hatte, mit einem wichtigen, lebenden Zeugen zu diskutieren. Ich glaube nicht, dass sie mir geglaubt hat.
Während unserer stundenlangen Gespräche, auch bei einem seltenen Abendessen mit Gästen bei ihr zu Hause, wich sie keinen Millimeter von ihren Überzeugungen ab. Die politische Ideologie, die sie ihr ganzes Erwachsenenleben lang vertrat, war, wie sie mir sagte, „objektiv richtig“ und spiegelte unerbittlich den wahren Zustand des Menschen wider. Karl Marx hatte den deterministischen Weg aufgedeckt, den die Menschheit zwangsläufig gehen musste. Der Kapitalismus werde eines Tages unter dem „Gewicht seiner inhärenten Widersprüche“ zusammenbrechen – eine Phrase, die sie wie ein feststehendes Mantra vortrug. Für ihr Handeln sah sie keinerlei Anlass zur Entschuldigung.
Das DDR-Experiment bezeichnet sie als ehrenwert und erfolgreich, wenngleich es fortwährend von seinen westlichen Gegnern untergraben worden sei. So unvermeidlich der Sieg des Kommunismus am Ende auch schien, waren Imperialismus und Kapitalismus bis ins späte 20. Jahrhundert hinein noch immer mächtig. Dennoch, so sagte sie, „überlebt die Saat und wird eines Tages wieder erblühen“. Bis dahin aber sei der Untergang der DDR eine „ungeheure Tragödie“ gewesen: Deutschland habe seine „bessere Hälfte“ – genauer genommen ein Drittel – verloren, und Millionen seiner einstigen Bürger befänden sich heute in deutlich schlechterer Lage.

Das war eine von vielen überraschenden Verzerrungen der Wirklichkeit durch Margot Honecker. Die Stasi – „Schwert und der Schild unserer Republik“ – sei notwendig gewesen, um die angeblichen „inneren Klassenfeinde“ abzuwehren, die das System stürzen und sich in einem neuen freien Marktwirtschaftssystem auf Kosten ihrer Mitbürger bereichern wollten. Der Aufbau des Sozialismus habe lange gedauert, da er auch eine tiefgreifende Veränderung der menschlichen Mentalität erforderte, die über Jahrhunderte kapitalistisch geprägt worden war. Letztendlich jedoch hätten die Genossen nicht genügend Zeit gehabt, diese Aufgabe zu vollenden.
Die Mauer als „Schutzwall“ – Feinde, Verrat und PropagandaNatürlich gab es außerhalb der DDR, vor allem in Westdeutschland, zahlreiche Feinde, weshalb der Bau der Mauer aus ihrer Sicht unvermeidlich war: „Ein zartes Pflänzchen überlässt man nicht den gefräßigen Vögeln.“
Die DDR-Bürger kannten die Regeln genau – auch die Konsequenzen, die sie erwarteten, wenn sie versuchten, über die Mauer zu klettern. Die meisten, die es dennoch wagten, waren entweder bewusst von westdeutschen Agenten dazu angestiftet oder gehörten zu den wenigen Abweichlern und Kriminellen, die in jeder Gesellschaft anzutreffen sind. Die westliche Presse hingegen berichtete nie über die zahlreichen Fälle, in denen Westdeutsche angeblich in die entgegengesetzte Richtung, also in die DDR, geflohen sein sollen, um dort in einem sozialistischen Paradies ihren Seelenfrieden zu finden – eine Behauptung, die ich für absurd hielt. Vielleicht hatten sie nie darüber berichtet, weil es solche Fälle schlicht nicht gegeben hatte, dachte ich bei mir – ein kurzes, steinernes Schweigen.
Richtig lebhaft wurde Margot, als es um Michail Gorbatschow ging, dessen Namen sie Dutzende Male fast wutschnaubend erwähnte. Für sie war er der undankbare Erbe der größten Errungenschaften des sowjetischen Sozialismus, der diese nicht nur untergrub und zerstörte, sondern die DDR gezielt opferte, um sich bei Helmut Kohl einzuschmeicheln.
Die Machtübernahme durch Gorbatschow verglich sie, sehr anschaulich, mit der Wahl eines Papstes, der der katholischen Kirche befiehlt, Abtreibung zu erlauben und Homosexualität zu akzeptieren – und damit ihre gesamte Existenzberechtigung sowie ihre inneren Strukturen zerstört. Für sie war Gorbatschow schlicht ein unerträglicher Verräter an der Sache, die ihn einst groß gemacht hatte, während er gleichzeitig versuchte, sich persönlich zu bereichern.
Ich wies die meisten ihrer Ansichten zurück, aber die Atmosphäre wurde dennoch nicht zu frostig. Ich erklärte Margot, wie prägend es für mich gewesen war, in einem Ost-Berliner Bett zu liegen und Schüsse zu hören, von denen ich später erfuhr, dass jemand auf der Flucht in den Westen erschossen worden war. Sie zuckte nur mit den Schultern.
Ich erwähnte auch, dass der Film „Das Leben der Anderen“ für mich sehr präzise das Lebensgefühl und den Alltag in der DDR widerspiegele, so wie ich ihn selbst erlebt habe. Nein, entgegnete sie, das sei nichts weiter als gezielte, imperialistische Propaganda gegen die DDR – möglicherweise sogar von der CIA finanziert.
Ich fragte sie schließlich, ob nicht überall in Chile deutlich zu sehen sei, dass freier Markt, Demokratie und eine offene Gesellschaft den Menschen mehr Wohlstand gebracht hätten als das marxistische Experiment unter Salvador Allende?
Nein, erwiderte sie. Chile, wie alle kapitalistischen Länder, insbesondere die USA, leide unter extremer sozialer Ungleichheit, Wirtschaftskriminalität, Korruption, Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit, psychischen Erkrankungen und Gewalt. All das wusste sie aus Berichten der DDR-Botschaft, die hinter den Linien des Klassenfeindes Informationen gesammelt habe. Die westlichen Regierungen, so behauptete sie, sorgten lediglich dafür, dass eine angepasste Presse solche Missstände nicht öffentlich machte. Ironischerweise lag an jenem Tag eine der führenden chilenischen Tageszeitungen direkt neben uns auf dem Tisch – mit mehreren Artikeln, die genau diese Themen behandelten.

Margot Honecker zeigte in keinem Moment Zweifel oder Selbstkritik – mit Ausnahme eines kurzen Eingeständnisses: Die SED, so räumte sie ein, habe im Laufe der Zeit Teile ihres marxistischen Kurses konkretisieren müssen und dabei zwangsläufig einige Fehler gemacht – allerdings nur in der Umsetzung, nicht in der Theorie.
Ansonsten war sie unnachgiebig und selbstsicher. Ihr Vokabular und ihre Diktion klangen genau so, wie es die ranghöchsten ostdeutschen Apparatschiks in den späten 1970er-Jahren getan hätten. Sie gehörte zwar nie zum höchsten Gremium, dem Politbüro, aber sie war eine äußerst mächtige Firstlady – die Lady McBeth der DDR.
Margot, die in ihrem eigenen kommunistischen Utopia hinter vorgehaltener Hand den Spitznamen „Purpurhexe“ trug (wegen ihrer Mrs. Slocombe-ähnlich gefärbten Haare); Margot, die angeblich die Zwangsadoption der Kinder inhaftierter Dissidenten anordnete; Margot, die ein Netz von etwa 150 strengen, gefängnisähnlichen Kinderheimen beaufsichtigte, in denen „politisch schwierige“ Jugendliche auf harte Weise zu guten sozialistischen Bürgern umerzogen wurden.
Die Banalität des Bösen: „Diese nette alte Dame“Persönlich war sie jedoch mehr als liebenswert: so sehr, dass meine chilenische Frau Mühe hatte, „diese nette alte Dame“ mit den Verbrechen und der Trostlosigkeit der DDR in Verbindung zu bringen, wie sie im Film „Das Leben der Anderen“ dargestellt wurden, den wir uns nach unserem letzten langen Gespräch sofort wieder ansahen.
Es gab ein bemerkenswertes Postskriptum: Bei meiner Abschiedsfeier als Botschafter im Januar 2014 waren viele Gäste sichtlich überrascht, unter ihnen auch eine gebrechlich gewordene Margot Honecker zu sehen.
Vielleicht war sie ebenso schockiert, als sie kurz darauf Pinochets Tochter traf, die ebenfalls eingeladen war und als Gemeinderätin in dem Stadtbezirk von Santiago amtierte, in dem sich die Botschaft befand. Ich weiß nicht, was zwischen ihnen vorgefallen ist, aber ich nehme an, dass sie sich nicht verstanden haben. Margot schenkte mir an jenem Tag ein kleines Buch mit Goethes Gedichten, das in den frühen Jahren der DDR vom „Volkseigenen Verlag“ in einer fast unleserlichen altdeutschen Schreibschrift gedruckt wurde. Ich bewahre es immer noch auf in Ehren.
Mein bleibender Eindruck nach mehr als einem Jahrzehnt ist, eine lebende Verkörperung von Hannah Arendts „Banalität des Bösen“ kennengelernt zu haben, die ohne den geringsten Zweifel an ihren lebenslangen ideologischen Überzeugungen oder Reue über die Folgen ihrer repressiven Anwendung im System des „real existierenden Sozialismus“ der DDR starb.
Sie war selbst schuldig und engste Komplizin bei schweren Verstößen gegen die elementarsten Menschenrechte von Millionen von Menschen, aber auf unserem Sofa im Wohnzimmer wirkte sie wie ein demütiger Mensch, von dem man sich kaum vorstellen kann, dass er jemals einer Fliege etwas zuleide getan hätte.
Die Begegnung mit Margot Honecker zählt rückblickend zu den merkwürdigsten Erfahrungen meiner 38-jährigen diplomatischen Laufbahn – und je länger ich darüber nachdenke auch zu den beunruhigendsten. Noch heute gibt es in Chile viele Menschen, die unbeirrbar entweder die gleichen starren politischen Dogmen verteidigen, an die auch sie glaubte – wie sie durch die Regierung Allende verkörpert wurden – oder im Gegenteil die Verbrechen und Ungerechtigkeiten seines erbitterten Gegenspielers rechtfertigen: des Militärregimes unter Augusto Pinochet. Auch er führte eine ideologisch motivierte Diktatur – nur mit umgekehrtem Vorzeichen. Ironischerweise verließ sein Regime im Jahr 1990 die politische Bühne – im selben Jahr, in dem auch die DDR unterging.
Jon Benjamin ist CEO von Free Speech International (fsu.world) und war britischer Botschafter in Chile, Ghana und Mexiko. Er ist @jonbenjamin19 auf X und erreichbar auch bei [email protected].
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