Sprache auswählen

German

Down Icon

Land auswählen

Germany

Down Icon

Der alte Grantler trickst den Tod aus: Mit dem «Brandner Kaspar» hat München endlich wieder ein kultiges Kulturgut

Der alte Grantler trickst den Tod aus: Mit dem «Brandner Kaspar» hat München endlich wieder ein kultiges Kulturgut
Zwischen Komödienstadel und hoher Kunst: Der Kaspar (Günther Maria Halmer) ringt mit dem Tod (Florian von Manteuffel).

Der Tod ist ja eigentlich ein Wiener. Dort hat er sich gemütlich und klischeesatt zwischen Zentralfriedhof und blauer Donau eingenistet, wird literarisch und heurigenselig umhegt und kumpelhaft verehrt. Nirgendwo sonst ist der Leibhaftige so willkommen. Auch nicht im angrenzenden Bayern, wo man ihn wie überall fürchtet und gedanklich aus dem Leben verbannt. Man spricht zwar hier von einer «schönen Leich», ist aber klammheimlich nur froh, dass man die nicht selber ist.

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Doch der Bayer ist auch bauernschlau und verschlagen und hinterhältig, wenn es um die eigene Existenz und andauerndes Wohlergehen geht. So kam es im 19. Jahrhundert, dass der Münchner Mineraloge Franz von Kobell zur Feder griff und einen Text schrieb, der so etwas wie der bajuwarische «Jedermann» wurde: höchst populär und so geschätzt wie ein ordentlicher Ablass in der katholischen Kirche. «Die G’schicht vom Brandner Kaspar», 1871 veröffentlicht, berichtet von einem alten Schlosser, der den Boanlkramer, also den Knochenhändler, austrickst und so zwar nicht zum ewigen Erdendasein, aber zu ein paar Jährchen mehr Lebenszeit kommt. Möglich wird das durch Kirschgeist und das saubere Bescheissen beim Kartenspiel.

Der Weisswurstäquator

Der Text ist Volksgut, schaffte es auf die Bühne und wurde auch als Film ein Kassenschlager. Da spielte Franz Xaver Kroetz den grantelnden Brandner. Und der Stoff liess ihn nicht los. Für das Münchner Residenztheater schrieb er eine neue Fassung, die nun in der Regie von Philipp Stölzl (eigentlich Opern- und Filmfachmann) uraufgeführt und vom Publikum wie närrisch gefeiert wurde. München hat seit dieser Woche endlich wieder ein kultiges Kulturgut, das man zwar jenseits des sogenannten Weisswurstäquators kaum versteht, weil der breiteste Dialekt wie eine Stammessprache zelebriert wird, das hierorts aber passt wie eine speckige Lederhose.

Dass die Kroetzsche Fassung, die ein bisschen philosophisch und derb-zart daherkommt, zu solch einem Erfolg wird, liegt sicherlich auch an den beiden Hauptdarstellern. Günther Maria Halmer gibt mit vernuschelter Urgemütlichkeit den Kaspar, dem das 70-jährige Leben viele Sorgen eingebracht hat, der aber in seiner eigenbrötlerischen Einsamkeit endlich die Stille findet. Just ihn sucht der Tod heim, mit seinem Einkaufszettel, auf dem die nächsten Leichen stehen. Hoch droben zwischen barock-weichen Wolken hat ihm ein sehr päpstlich gekleideter Petrus (Michael Goldberg) mit ochsenblutroten Strümpfen, der gottesunfürchtig fluchen und auch pädophil begehren kann, den Zettel ausgehändigt.

Florian von Manteuffel ist ein schwer angesäuerter Tod, ein bisschen melancholisch und arbeitsfaul, bald dem Kirschgeist mehr zugetan als dem Heiligen. Beim Verhandeln über ein paar lumpige Jährchen lässt sich der Langhaarige im schlecht sitzenden schwarzen Anzug erstaunlich schnell über den wackligen Tisch in Kaspars Stube ziehen. Der Tod weiss: Er hat Mist gebaut. Ganz höheren Ortes wird man ihn ob dieser widerrechtlichen Überlebensgarantie schelten, wenn nicht gar zum Teufel, seinem natürlichen Gegner, jagen.

Der Langhaarige im schlecht sitzenden Anzug lässt sich über den wackligen Tisch in Kaspars Stube ziehen.
Blick ins Jenseits werfen

Der Regisseur Stölzl hat höchstselbst das Bühnenbild erdacht und sich einen überdimensionalen Bauernschrank bauen lassen, hinter dessen Türen schroffe Gebirgslandschaften, eine ärmliche Hütte oder gleich das glitzernde Paradies stecken. Und es wird viel geflogen in dieser Inszenierung, die sich recht unterhaltsam irgendwo zwischen Komödienstadel und hoher Kunst bewegt. Im Hintergrund sausen die gemalten Prospekte vorbei, und im Bett schweben Kaspar und der Tod Richtung Ewigkeit, denn der Brandner will nun zögerlich, nachdem ihm alles Irdische zu viel, zu modern, zu lästig geworden ist, einen Blick ins Jenseits werfen. Ja, da könnte es ihm denn doch gefallen.

Kroetz bleibt in seiner Version erstaunlich sanft und fast glaubenstreu. Altersmüde könnte man das auch nennen, sehnsuchtsvoll verschreibt sich der bald 80-jährige Einstkommunist, der die bajuwarische Dumpfheit früher wie kaum ein anderer gescholten hat, dem ausklingenden Lebensabend und einem sanften Abgang ohne Groll. Nur einer eben bleibt angesäuert zurück, weil seine Arbeit nie endet: Der Boanlkramer muss wieder zurück auf die Erde, um seine Drecksarbeit zu verrichten. Aber, sagt er, jeden Tag Paradies, das sei eh nix für ihn.

Reihe neun mittig, da sass bei der Premiere im Residenztheater Franz Xaver Kroetz neben seiner Marie Theres Relin. Beim Volksstück mitten im Volk – und er liess sich feiern.

nzz.ch

nzz.ch

Ähnliche Nachrichten

Alle News
Animated ArrowAnimated ArrowAnimated Arrow