Ein Sumo-Ringer von einem Buch – wie Marlene Taschen den Kunstbuch-Verlag ihres Vaters weiterführt


Der goldene Schriftzug ist dreidimensional auf den schwarzen Umschlag geprägt, geblättert werden darf nur mit weissen Handschuhen. Eine Frau will den «Baby Sumo» trotzdem hochheben, scheitert aber und lässt das backblechgrosse Buch schnell wieder in den Ständer zurückgleiten. 16 Kilogramm wiegt der neue Salvador-Dalí-Band aus dem Hause Taschen.
NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.
Bitte passen Sie die Einstellungen an.
Der feierliche Auflauf im alten «Kloster der Engel» Anfang Juni in Barcelona hätte dem Genie sicher gefallen. Taschen stellt andauernd Bücher vor, gelegentlich auch XL-Versionen, aber dieses Riesenbaby ist etwas Besonderes, weil es Dalí war, über den Benedikt Taschen seinen ersten selbst produzierten Kunstband veröffentlichte.
Der Kölner Verlag feiert dieses Jahr sein 45-jähriges Bestehen, trotzdem steht auf der kleinen Bühne nicht der Gründer Benedikt Taschen, sondern seine Tochter Marlene Taschen. Sie hält eine kurze Rede, sagt, dass sich hier ein Kreis schliesse. Noch keine vierzig, ist sie trotzdem schon Mitgeschäftsführerin, und dies seit über acht Jahren. Man könnte sie für «die Tochter von» halten, die zwangsläufig den Laden übernimmt. Schliesslich modelte sie schon als Baby in Werbeanzeigen mit den Worten: «Ich will kein Taschenbuch, ich will ein Buch von Taschen!»
Der Vater entschied über ihren Kopf hinweg«Das nennt man wohl Schicksal», sagt Marlene Taschen über dieses frühe, rückblickend wegweisende Engagement für den Verlag. Weder sie noch ihr Vater hatten damit gerechnet, dass sie so bald in das Unternehmen einsteigt. Der aufmüpfige Teenager war mit 16 von zu Hause ausgezogen, lebte nach dem Abitur eine Zeitlang in Australien und Panama, studierte an der London School of Economics. Danach arbeitete sie als Projektmanagerin für das Museum of Everything.
Aber als vor 13 Jahren ihre erste Tochter geboren wurde, habe sie gedacht: «Wenn wir uns doch gut verstehen – warum warten? Warum soll ich meine Energie nicht jetzt schon für das Familienunternehmen einsetzen?» Also rief sie den Vater in Los Angeles an, der freute sich über das unerwartete Angebot, liess sie eine Weile machen und fackelte dann in typischer Benedikt-Taschen-Manier nicht lange.
Mitten in einem Zeitungsinterview, ohne vorherige Absprache mit ihr, verkündete er, seine Tochter werde demnächst zur Geschäftsführerin ernannt und für das gesamte operative Geschäft zuständig sein. «Das war erst mal ein Schock», erinnert sich Marlene Taschen, «aber diskutieren ging in diesem Moment ja schlecht.» Die Sache war ohnehin längst in der Welt.
Ganz schlecht kann sie ihren Job bislang nicht gemacht haben. Nach eigenen Angaben und gemäss Branchenschätzungen ist der Umsatz des Verlags in den letzten Jahren noch einmal stark gewachsen. «Die Buchbranche meckert gern», sagt Taschen, «aber eigentlich ist das ein sehr solides Geschäft.» Zumindest, wenn man aufwendig produzierte, haptische Kunstbücher verkauft, die nie als E-Book funktionieren würden.


Taschen profitiert sogar ein Stück weit von der Digitalisierung und der damit verbundenen Sehnsucht nach «alten» Medien. Unlängst war der Hashtag #bookshelfwealth ein Trend auf Social Media. Leute fotografierten oder filmten sich vor ihren hübsch arrangierten Bücherwänden. Prominente wie Gwyneth Paltrow beauftragen Kuratoren, um ihre Bibliotheken so ausgesucht wie plakativ zu bestücken. Natürlich hat die Schauspielerin auch eine Sumo-Edition von Taschen in der Sammlung, «Genesis» vom kürzlich verstorbenen Fotografen Sebastião Salgado.
Marlene Taschen nahm an der Beerdigung in Paris teil. Mit ihm und seiner Frau habe sie eines ihrer ersten Projekte umgesetzt, im Grunde kannten sie sich aber schon so lange, wie sie denken kann. «Mein Vater trennt Arbeit und Leben nicht», sagt Taschen. Zu Hause in Köln wurden auf dem Küchentisch die Layouts ausgebreitet und die drei Kinder aus erster Ehe auch einmal um Rat gefragt. Leute wie June und Helmut Newton, Jeff Koons und Cicciolina oder Karl Lagerfeld kamen zu Besuch.
Bereits als Teenager hatte Benedikt Taschen angefangen, Comics zu verkaufen. Die wirklich geniale Idee des mittlerweile 64-Jährigen war es jedoch, die in den Achtzigerjahren noch arg hochtrabende Kunst ein Stück weit zusammenzustutzen und zwischen zwei erschwingliche Buchdeckel zu pressen. «Kunst für alle», lautete seine Devise, und die Bücher aus der «Basic Art»-Reihe, die zwischen 15 und 25 Euro kosten, sind immer noch das Hauptgeschäft.
Aufsehen erregende Editionen wie der Helmut-Newton-Sumo, das grösste und mit 15 000 Dollar teuerste Buch des 20. Jahrhunderts, sind vor allem gut fürs Image, aber selbst diese Prestigeprojekte werden später in verschiedenen Editionen für sämtliche Zielgruppen und Geldbeutel weitervermarktet. «Mein Vater hat das alles schon ziemlich gut gemacht», sagt Taschen. «Ich muss hier nichts neu erfinden.»
«Sie kann alles, was ich kann»Aus dem Verlag hört man, dass sie sehr wohl einiges ins Rollen gebracht hat. Online sollen die Umsätze allein 2024 um 20 Prozent gestiegen sein. Ihr Vater kokettiert gern damit, vor allem das zu verlegen, was ihm selbst gefällt. Die Tochter mag nicht die gleiche Leidenschaft für bestimmte Künstler pflegen, dafür denkt sie analytischer, nüchterner. Taschen weiss, mit Blick auf die Zahlen, welche Themen interessieren. Gerade ist ein Kinderbuch mit Illustrationen aus den Disney-Klassikern erschienen, und im Programm finden sich neu auch Bücher über Zitronen oder Pilze.
«Sie kann alles, was ich kann», schwärmte der Vater damals in besagtem Offenbarungs-Interview. Die Branche sei ein kompliziertes, anachronistisches Geschäft, «aber Marlene besitzt alle Fähigkeiten, die es dazu braucht, noch mehr als ich. Ausserdem sieht sie besser aus.» Früher hätte man die grosse, schlanke Frau mit den vollen Lippen wahrscheinlich eine «aparte Erscheinung» genannt.
Auf Fotos zeigt sie sich selbstbewusst mit ihrem Vater, mit Künstlern wie David Bailey oder David Hockney. In Barcelona trägt sie die dunklen Haare locker zurückgebunden und ein rot gemustertes Kleid aus festem Stoff, das sich perfekt in die Kulisse des alten Klosters einfügt.
Sie hält nicht die inspirierteste Rede an diesem Abend, umso offener und lockerer ist sie später im Umgang mit den Gästen. Obwohl sie lange in London gelebt hat und jetzt mit Mann und zwei Kindern in Mailand wohnt, ist ihr Deutsch noch immer von diesem rheinischen Singsang durchzogen.
Dem Taschen-Verlag wird gerne vorgeworfen, das Programm sei vorhersehbar und populär, eben für alle gemacht. Es feiere rückwärtsgewandt die immer gleichen grossen Künstler, Fotografen und Designer, die entweder tot seien oder kurz vor der Rente stünden. Die Verlegerin widerspricht und verweist auf «dieses phantastische Zitronenbuch». Zur Art Basel erscheint zudem eine Zusammenarbeit mit dem Künstler André Butzer: eine von ihm illustrierte Sammlung von Hölderlin-Gedichten. «Ausserdem arbeiten wir an einem Band mit der jungen Malerin Grace Weaver.»
Aber ja, gibt Marlene Taschen zu, von grossen Genies gäbe es leider nicht allzu viel Nachschub, und das Problem bei ihren Büchern sei und bleibe dasselbe: «Am Ende müssen wir mehrere hundert wirklich schöne Seiten füllen.»
nzz.ch