Fanta 4 nehmen den letzten Bus – wird das Ende ein neuer Anfang?

Sie heißen Michael Schmidt, Thomas Dürr, Andreas Rieke und Michael Beck. Manchmal, eigentlich nur noch alle Jubeljahre, streifen sie sich ihre alten Superhelden-Images über. Dann sind sie Smudo, Michi Beck, And.Ypsilon und Hausmeister Thomas D.
Dann erscheint zunächst eine Platte. Und danach sind Die Fantastischen Vier – geschrieben wie die Marvel-Comic-Kraftmeier, die erst im Juli groß im Kino waren, inzwischen aber auch in Deutschland der Unterscheidung halber als „Fantastic Four“ vermarktet werden – in Großhallen unterwegs. Retten die Welt. Nein, retten das Land. Retten den deutschen Hip-Hop. Jetzt wollen sie damit aufhören.
Vielleicht, weil genug Zeit ins Land gegangen ist. Die Fantastischen Vier sind seit 1986 aktiv, zunächst als Duo, seit 1989 in der bis heute gültigen Formation, mit dem bis heute gültigen Namen. Die „Fantas“, wie sie auch genannt werden, gaben am Wochenende ihre finale große Tour bekannt.
Die heißt „Der letzte Bus“, und geplant ist eine sehr lange Busfahrt von 2026 bis 2028. Erster Halt ist am 16. Dezember 2026 in Riesa in Sachsen. Danach stehen Berlin, (17. 12.), Hannover (19. 12.) und ein Heimspiel in Stuttgart (21. 12.) auf dem Programm. Der aktuelle Live-Plan reicht bis Februar 2027. To be continued …
„Long Player“ hieß das bislang letzte Album, das vor gut einem Jahr erschien – eine „Langspielplatte“ von „Langspielern“. Es war das erste Album seit dem Debüt „Jetzt geht’s ab“ (1991), das nicht unter dem Dach des Majors Sony veröffentlicht wurde – dem Zuhause von ganz alten Veteranen der Populärmusik wie Bob Dylan und Bruce Springsteen.
Das 16-Song-Album, auf dem die Fantas auch mit Soul, Pop und Psychedelic Rock hantierten, stieg trotzdem bis auf Platz 2 der Charts. Darauf fand sich schon – oh Schreck – ein Track namens „Aufhören“.
Man erinnert sich noch gut an den Anfang, als die Fantastischen Vier aus dem Nichts auftauchten. Als der gerappte Witz „Die da!?!“ über eine Frau, die gleich zwei Fantas datete, ab September 1992 von den Radiostationen 24/7 gedudelt wurde und das Quartett im Advent damit auf Platz 2 der Single-Hitparade stand (von der Spitze abgehalten von Inner Circle und ihrem sexgeladenen Reggae „Sweat“).
Man nahm das heute als kommerzieller Durchbruch für den deutschsprachigen Hip-Hop geltende Stück erst mal als One-Joke-Wonder wahr. Regiert wurde die Hip-Hop-Welt damals von US-Acts – von den intellektuellen A Tribe Called Quest aus New York, den Südstaaten-Sozialrappern Arrested Development, den witzigen De La Soul, dem sehr misogynen Dr. Dre, dessen Schützling Snoop „Doggy“ Dogg seinen großen Lauf gerade vorbereitete.

Für die deutschsprachigen Hip-Hopper waren die bis dato Unbekannten aus Stuttgart zugleich der Sündenfall schlechthin. Bands wie Fresh Familee aus Ratingen oder Advanced Chemistry aus Heidelberg hatten zuvor mit mehr Straße in ihren Raps kaum Breitenwirkung jenseits der Szene erreicht. Nun ging die Fanta-Fear um, die lustigen Stuttgarter wurden gedisst als Bravrapper, Geldrapper, Hampelrapper – definitiv nicht das Ideal eines „real deal“.
Aber sie waren eben der große Deal. Gekommen, um zu bleiben. Die Frankfurter von Moses Pelhams Rödelheim Hartreim Projekt zogen nach, aus Hamburg kamen Bands wie Fischmob und Absolute Beginner.
Smudo, dessen Spitzname aus „Schmuddel“ (wegen des lässigen Hip-Hop-Looks) destilliert wurde, war bei aller Kritik authentisch. Er war schon Anfang der 80er Jahre mit dem Genre in Berührung gekommen (mit Grandmaster Flashs Jahrhundert-Ghettosong „The Message“). Der Teenager ging bald in Diskotheken für US-amerikanische GIs, wo der mit Beats unterlegte Sprechgesang die Tanznächte längst dominierte, und fand in Stuttgart einen Plattenladen, der die neuesten Scheiben unbekannter Ostküstenrapper im Sortiment hatte.
Sein Computerkumpel Andreas baute eine Beat-Box, bald waren sie zu viert. Das Motiv? „Wir wollten nur das eine: die Mädchen“, erinnerte sich Smudo 2007 im „Spiegel“. „Mein Therapeut würde das (...) wahrscheinlich mit ,Anerkennung‘ gleichsetzen.“
Die Fanta-Raps hatten Humor und Tiefe, die Hooks waren bezwingend, das Quartett schöpfte bald aus allen möglichen Klangwelten der Popgeschichte bis hin zu Metal und (bei „Tag am Meer“) zu Jazz. Sie hatten wie ihre Namensvettern aus den Marvel-Comics Superkräfte – vor allem live. Die Fantas hüpften (abgesehen von DJ And.Ypsilon) über mehrstufige Bühnen wie irre Flummis, und haben bis heute keine gemächlichen Wohlstandsbewegungen drauf.
Die Fantastischen Vier im Song "Troy"
Wenn der „letzte Bus“ 2028 an seiner Endstation angekommen sein wird, steht dann aber eben doch die 60 im Raum. Heute steht sie noch in der Ecke, keiner beachtet sie. Der „Tagesspiegel“ bewunderte nach dem Berlin-Konzert der Fantastischen Vier 2024 etwa den „unkaputtbaren Klassiker“, von einer „großartigen, zweistündigen Show“ sprachen die „Stuttgarter Nachrichten“. Aber die „Rolling Stones des deutschen Raps”, wie sie der NDR nach ihrem Konzert in der Hamburger Barclays Arena nannte, wollen eben nicht Aufhörenmüssen.
Mit einem unfreiwilligen Ende hatten sie schon früh im Song „Populär“ (1996) kokettiert, einem Stück, geschrieben aus der Sicht wankelmütiger Fans: „Irgendwann sind sie dran“, rappte Smudo, „und dann kennt sie keiner mehr: / Gestern niemand, morgen tot und dazwischen was? / Populär!“
Und „Troy“ war 2004 ein Lied über das wankelmütige Publikum. Hat der Fan ein Tief, ist ihm der Popstar Schutz und Schild, geht die Band durch schlechte Zeiten, sagt der Fan oft schnell Adieu. „War‘n wir zusammen nicht ein Spitzenteam? / Das ham wir nicht verdient, wir ham dir Hits geschriem!“

Natürlich retten den Hip-Hop in Deutschland heute längst andere – von der Antilopen Gang bis zu Waving The Guns, von Nura über Nina Chuba bis Shirin David, von Disarstar bis (zum derzeit – wie jüngst in der Netflix-Doku „Babo“ zu sehen war – pausierenden) Haftbefehl.
Der letzte richtige „Hit“ der Fantas in den Singlecharts war 2018 „Zusammen“, ihr Duett mit dem Erfurter Kollegen Clueso. Der kam, wie ihr erster, „Die da!?!“, bis auf Platz 2.
In den Raps des Songs „Aufhören“ hörten Fans des Quartetts im Herbst vorigen Jahres erst mal Beruhigendes: „Wir wollen es feiern, / wir wollen es laut / und das ist erst der Anfang, / es hört nicht auf“, hieß es da. In einer ARD-Doku deutete Michi Beck dann aber nur kurz darauf erstmals die Möglichkeit einer letzten Konzertreise an.
Fanta-4-Fan Aylin Aziri bei Instagram
Die jetzt offiziell ist. Aufhören wird es trotzdem nicht ganz, denn die Fantas wollen sich erklärtermaßen nicht auflösen. Letzte Tour sei nicht gleichbedeutend mit letzter Auftritt.
„Wann wir unser definitiv letztes Konzert spielen werden, steht noch in den Sternen“, sagte Beck am Samstag nach einem moderierten Gespräch mit allen Fantas im Schauspiel Stuttgart in einem Videoeinspieler.
In den Sozialen Medien wird derweil zuhauf mit Tränen-Emojis getrauert. „Können wir nicht demokratisch abstimmen?“, fragt die 25-jährige Aylin Aziri bei Instagram. „Ich dachte, wir werden zusammen alt“, bedauert Erdnuss 74. „Ich hoffe, Ihr macht es wie die Stones: Jedes Jahr eine Abschiedstour“, wünscht sich ein anderer. Und ein Fan namens Diana Reinsperger erteilt dem Farewell ihre Absage: „Äh, ne! Ich brauche später noch gute Mucke fürs Altenheim. Könnt ihr also vergessen!!!!“
Gute Mucke kann‘s geben: Weitere Alben seien, so stellte Bandmanager Andreas „Bär“ Läsker klar, nicht ausgeschlossen. Am Ende ist der Live-Schluss ein neuer Anfang. Als die Beatles 1966 mit den Konzerten aufhörten und sich endlich richtig Zeit fürs Kreative nahmen, schufen sie im Studio ihr Meisterwerk „Sergeant Pepper’s Lonely Hearts Club Band“.
Aktuelles Album: Die Fantastischen Vier – „Long Player“ (Rekord Music/Edel)
Die Fantastischen Vier – Die ersten Daten der Tour „Der letzte Bus“ (bis jetzt): 16.12.2026, Riesa - WT Energiesysteme Arena; 17.12.2026, Berlin - Uber Arena; 19.12.2026, Hannover - ZAG Arena; 21.12.2026, Stuttgart - Hans-Martin-Schleyer-Halle; 22.12.2026, Stuttgart - Hans-Martin-Schleyer-Halle; 06.01.2027, Frankfurt am Main - Festhalle Frankfurt; 07.01.2027, Dortmund - Westfalenhalle Dortmund - Halle 1; 09.01.2027, Oberhausen - Rudolf Weber-ARENA; 12.01.2027, Köln – Lanxess Arena; 13.01.2027, Hamburg - Barclays Arena; 16.01.2027, Leipzig – Quarterback Immobilien Arena; 17.01.2027, München - Olympiahalle; 19.01.2027, Zürich - Hallenstadion; 21.01.2027, Mannheim - SAP Arena; 04.02.2027, Nürnberg - PSD Bank Nürnberg Arena; 05.02.2027, Salzburg – Salzburgarena; 06.02.2027, Wien - Wiener Stadthalle - Halle D - Der Vorverkauf beginnt am 12. November
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