Hass, Angst und Vertreibungen: Mit der Entstehung des Staates Israel begann das palästinensische Flüchtlingsproblem


Die Geschichte entwickelt manchmal eine gewisse Ironie: Vor acht Jahrzehnten wurde die Teilung Palästinas international diskutiert, um den Nahostkonflikt zu lösen. Die Vollversammlung der Vereinten Nationen billigte 1947 einen Plan, der zwei Staaten bei gleichzeitiger wirtschaftlicher Einheit und neutralem Status von Jerusalem vorsah.
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Die entsprechende Resolution erreichte die erforderliche Zweidrittelmehrheit zwar knapp – zu den Ja-Stimmen zählten unter anderem der Sowjetblock, die Vereinigten Staaten und Westeuropa mit Ausnahme Grossbritanniens, das sich enthielt. Aber nicht zuletzt die arabischen und die muslimischen Staaten hatten mit Nein gestimmt.
Heute ergibt sich ein spiegelverkehrtes Bild: Grossbritannien droht Israel damit, an der Uno-Generalversammlung im September einen palästinensischen Staat anzuerkennen. Dazu verlangt London, dass Jerusalem von Ansprüchen auf das Westjordanland absieht und sich zu einem langfristigen Friedensprozess bekennt, der zu einer Zweistaatenlösung führt.
Und Israel? Ab September 1947 hatte die «Jewish Agency for Palestine» – die Regierung des «Jischuw», der jüdischen Bevölkerung und des jüdischen Gemeinwesens in Palästina vor der Gründung des Staates Israel – begonnen, Druck auf Washington auszuüben, damit Amerika ihr Bekenntnis zur Teilung bekräftigten, und die Verbündeten der USA dazu überredet, sich anzuschliessen.
Ein globaler KampfHeute stellt sich die Regierung in Jerusalem gegen die erneut diskutierte Teilung Palästinas. Und sie scheint den amerikanischen Präsidenten auf ihrer Seite zu haben. Donald Trump hat mehrmals beteuert, er denke nicht daran, einen Palästinenserstaat anzuerkennen.
Eine weitere Ironie der Geschichte: Der Plan zur Teilung der Region in zwei souveräne Staaten, einen jüdischen und einen arabischen, führte 1948 nach der Ausrufung des Staates Israel zum arabisch-israelischen Krieg. Heute verhindert dessen Fortsetzung im Gazastreifen den erneuten Versuch einer Umsetzung eines Teilungsplans für Palästina.
Wer die Vorgeschichte dieser Entwicklung verstehen will, sollte zu Benny Morris’ Büchern greifen. Zwei Standardwerke des emeritierten Professors für Geschichte an der Ben-Gurion-Universität des Negev liegen mittlerweile auch auf Deutsch vor. Ihre Themen sind eng miteinander verflochten: In «1948» geht es um den ersten arabisch-israelischen Krieg 1948, der auf den arabisch-jüdischen Bürgerkrieg von 1947 folgte. «Die Geburt des palästinensischen Flüchtlingsproblems» behandelt die Folgen aus diesen Auseinandersetzungen, für die bis heute keine nachhaltige Lösung gefunden worden ist.
Morris macht deutlich, warum es sich so schwierig gestaltet, eine Verhandlungslösung für das Palästina-Problem zu finden. Zwar stellt der Krieg von 1948 auch in seinen Augen einen Meilenstein in der Auseinandersetzung zwischen zwei nationalen Bewegungen um einen Landstrich dar. Aber er sei darüber hinaus Teil eines allgemeineren, globalen Kampfes zwischen dem islamischen Osten und dem Westen, in dem Israel und Palästina als eine Hauptkampffront gelte.
Die grosse MinderheitDer erste arabisch-israelische Krieg wurde von palästinensischen Arabern begonnen, die die Uno-Teilungsresolution abgelehnt hatten. Sie wollten damit die Gründung Israels verhindern. Es war dieser Krieg, der laut Morris zur Entstehung des palästinensischen Flüchtlingsproblems führte. Er weist darauf hin, dass die Umsiedlung von Arabern aus den Gebieten Palästinas, die zum jüdischen Staat werden sollten, in der zionistischen Ideologie verankert gewesen sei. Aber er betont zugleich, es habe keinen Plan gegeben, «die Araber» aus Palästina oder den Gebieten des entstehenden jüdischen Staates zu vertreiben.
In den ersten Monaten des Krieges gab es weder grossflächige Vertreibungen noch eine Einebnung von Dörfern. Die Einheiten der Haganah, der wichtigsten Miliz der jüdischen Gemeinde in Palästina, hätten uneinheitlich gehandelt. Manchmal wurden Bewohner arabischer Gemeinden vertrieben, manchmal nicht. Dadurch sei am Ende des Krieges in Israel eine arabische Minderheit entstanden, die heute ein Fünftel der Bevölkerung ausmache.
Als keineswegs zweideutig bezeichnet Morris dagegen die israelische Politik gegenüber denjenigen, die ab dem Sommer 1948 ausgesiedelt worden sind und zu Flüchtlingen wurden. Ihre Rückkehr sollte um jeden Preis verhindert werden. Das habe die Armee auch entschlossen und oft brutal umgesetzt.
Flüchtlinge, die heimlich wieder ins Land zurückkehrten, seien nach Möglichkeit aufgegriffen und vertrieben worden. Dennoch gelang es Zehntausenden von «Infiltranten» , sich wieder anzusiedeln und zum Teil israelische Staatsbürger zu werden. Ein Grossteil derer, die zu Flüchtlingen wurden, floh laut Morris nicht aufgrund direkter Bedrohung oder weil sie von Israel dazu gezwungen worden sind. Viele hätten ihre Siedlungen im Zug von Evakuierungen verlassen, welche die Araber selbst veranlasst hätten.
Angst vor den anderenDass ein palästinensisches Flüchtlingsproblem entstanden sei, sei unter den gegebenen Umständen fast unvermeidlich gewesen, fasst Morris so nüchtern wie hoffnungslos zusammen. Araber und Juden hätten in einem «winzigen Land» zusammengelebt. Die Feindseligkeit reichte zurück bis an den Beginn der Einwanderung von Juden aus Russland ins osmanisch regierte Palästina in den 1880er Jahren. Die Menschen, die damals nach Palästina kamen, hatten nach der Ermordung von Zar Alexander II. im März 1881 eine Welle von Pogromen erlebt.
Die Gründe für das Scheitern von Friedensbemühungen sind für Morris vielfältig. Auf arabischer wie auf jüdischer Seite habe es von Anfang an grossen Widerstand gegen einen binationalen Staat gegeben. Der Ausbruch des Krieges um die Gründung und das Überleben Israels habe die Gräben verstärkt. Dazu kämen eine tiefsitzende Feindseligkeit der Araber gegenüber dem Jischuw und die permanente Angst, unter jüdische Herrschaft zu geraten.
Dem entspricht auf jüdischer Seite die Angst vor dem, was im Fall eines Sieges der Araber geschehen würde. Oder davor, in einem jüdischen Staat mit einer grossen arabischen Minderheit leben zu müssen. Damit wäre man dann wieder mitten in der heutigen Diskussion über die Aussichten einer Teilung Palästinas.
Benny Morris: Die Geburt des palästinensischen Flüchtlingsproblems. Eine Neubetrachtung. Aus dem Englischen übersetzt von Hartmut Lenhard. Hentrich-&-Hentrich-Verlag, Berlin 2025. 825 S., Fr. 42.10.
Benny Morris: 1948. Der erste arabisch-israelische Krieg. Aus dem Englischen übersetzt von Johannes Bruns und Peter Kathmann. Hentrich-&-Hentrich-Verlag, Berlin 2023. 646 S., Fr. 34.20.
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