Kulturkamarilla | Xaver Naidoo: Wiederauferstehung mit Disclaimer
Die Rückkehr alternder Pop- und Schlagersternchen auf jene Bretter, die ihnen die Welt bedeuten, ist ein erbärmliches Schauspiel, das im Endstadium des modernen Kapitalismus beinahe unvermeidlich scheint. Finanziell gebeutelt, taumeln sie wie ein alternder Boxer wieder in den Ring, um der drohenden Altersarmut zu entrinnen.
In den letzten beiden Jahren kam ein weiteres popkulturelles Phänomen hinzu: Musiker, die sich während der Covid19-Pandemie völlig verschwurbelt hatten. Die staatlichen Maßnahmen während der Pandemie mit der Verfolgung der Juden im Nationalsozialismus zu vergleichen, bremste einige Musikstars in ihrer weiteren Karriereplanung komplett aus.
Branchenüblich wurden diese gefallenen Sternchen aber recht bald wieder zum Leben erweckt, wie Zombies stolpern sie nun wieder über die Bühnen. Michael Wendlers Rückkehr auf den Ballermann in diesem Sommer – unvermeidlich, weil der aalglatte Verschwörungsideologe schon längst Teil des Mobiliars auf Deutschlands beliebtester Sauf- und Raufinsel ist. Das Comeback von Nena. Ebenso unvermeidlich, weil die Sehnsucht nach Geborgenheit durch melodiöse Belanglosigkeit in Deutschland derart groß ist, dass die 80er Jahren hierzulande auf einmal als Paradies der Glückseligkeit gelten, obwohl zu dieser Zeit – im Kalten Krieg – der Atomtod ständig drohte.
Die bundesrepublikanische Sehnsucht nach musikalischer Nestwärme vervollständigt der Soulsänger und Seelenfänger Xavier Naidoo.
Die bundesrepublikanische Sehnsucht nach musikalischer Nestwärme durch die drei apokalyptischen Musiker vervollständigt der Soulsänger und Seelenfänger Xavier Naidoo. Die Ankündigung, dass der Sohn Mannheims im Dezember zwei Konzerte unter dem Motto »Bei meiner Seele 2026« in Köln plant, überraschte niemanden. Nach dem ersten Auftritt gemeinsam mit der »kleinen miesen Type« (Zitat Harald Schmidt) Oliver Pocher im vergangenen Jahr, war es nur noch eine Frage der Zeit, bis das Unvermeidliche passieren musste.
Die Wiederauferstehung von Totgeglaubten ist ein wichtiger Bestandteil des Musikbusiness. Dies betrifft auch Gesangsinterpreten, die eigentlich als komplett erledigt galten. Die Böhsen Onkelz füllen heutzutage ganze Stadien, in den seligen 80er Jahren grölten sie noch in Nazibunkern Textzeilen gegen Juden und Ausländer.
Xavier Naidoo lieferte in den letzten Jahren die Begleitmusik zur massenhaften Impfverweigerung und einer völkischen Radikalisierung auf dem Instant-Messaging-Dienst Telegram. Der 55-Jährige sprach mit Holocaust-Leugnern und sang gemeinsam mit bekannten Rechtsextremisten. Für die meisten Musikliebhaber kam diese Hinwendung zur extremen Rechten überraschend. Tatsächlich fällt Naidoo schon seit Jahrzehnten mit kruden Aussagen auf: Im Juni 1999 gab er in einem Interview mit »Musikexpress« zu Protokoll, dass er Rassist sei: »Aber ein Rassist ohne Ansehen der Hautfarbe«, so Naidoo weiter.
2011 erklärt Naidoo im »Morgenmagazin« der ARD, dass »Deutschland kein echtes Land« sei. Sechs Jahre später behauptete er im Magazin »Stern« wieder, dass die BRD »kein souveränes Land« sei, weil »die Amerikaner uns überwachen dürfen«.
Nach seinem Auftritt vor 300 Reichsbürgern und der Absage des NDR, ihn als Vertreter für Deutschland zum Eurovision Song Contest zu schicken, bemühte sich die versammelte bundesdeutsche Kulturprominenz trotz all der Aussagen, den Verschwörungsideologen in Schutz zu nehmen, und veröffentlichte in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« eine Anzeige mit dem heimeligen Titel »Menschen für Xavier Naidoo«. Til Schweiger, Tim Mälzer bis hin zu Mario Adorf unterschrieben die Solidaritätserklärung, um sich an der Rettung des Rufes eines der Ihren zu beteiligen.
Dass diese Anzeige heutzutage weit eher als Beleg für die Kumpanei der bundesdeutschen Kulturkamarilla mit einem Reaktionären taugt, der sich rassistisch und antisemitisch äußerte, hätte damals schon klar sein müssen. Trotzdem gelang es dem Konzertveranstalter Marek Lieberberg, dessen Agentur laut »Spiegel« »nicht nur Naidoo, sondern auch viele andere der Unterzeichner« betreut, die Solidaritätsadresse derart prominent zu gestalten. Der Manager bezahlte einst die Anzeige, obwohl die Aussagen seines damaligen Klienten »ebenso gut zum Kanon von Pegida, AfD und Co.« passen würden, wie der Autor Christian Stöcker im Hamburger Nachrichtenmagazin konstatiert.
Das Comeback von Xavier Naidoo in diesem Jahr findet weit weniger Unterstützung. Nachdem sich der Sänger vor drei Jahren von Verschwörungserzählungen in einem Video »ohne Wenn und Aber« distanziert hatte, fand er nur wenige Unterstützer für seine Wiederauferstehung. Ganz im Gegenteil: Weitere Bühnengäste für die 15 angekündigten Konzerte sind bisher nicht bekannt. Und unter der Konzertankündigung für München hat der Veranstaltungsort Olympiapark einen Disclaimer gesetzt. Darin distanziert sich die Firma »ausdrücklich von den Äußerungen des Künstlers« und bekennt sich »zu Vielfalt und Toleranz und verurteilt Antisemitismus, Rassismus und Homophobie«. Trotzdem oder genau deshalb sind die ersten Konzerte längst ausverkauft.
Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser*innen und Autor*innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.
Dank der Unterstützung unserer Community können wir:
→ unabhängig und kritisch berichten → Themen ins Licht rücken, die sonst im Schatten bleiben → Stimmen Raum geben, die oft zum Schweigen gebracht werden → Desinformation mit Fakten begegnen
→ linke Perspektiven stärken und vertiefen
nd-aktuell