Sprache auswählen

German

Down Icon

Land auswählen

Germany

Down Icon

Venedig 2025: Dystopische Zukunft und Gaza im Fokus

Venedig 2025: Dystopische Zukunft und Gaza im Fokus

Zwei der Filme bei den diesjährigen Filmfestspielen Venedig mit den düstersten Botschaften für die Menschheit waren gleichzeitig auch die lustigsten. In "Bugonia" von "Poor Things"-Regisseur Giorgos Lanthimos spielt Emma Stone eine einflussreiche Geschäftsführerin, die von zwei Verschwörungstheoretikern entführt wird: Sie sind davon überzeugt sind, dass sie eine Außerirdische ist, die die Erde zerstören will.

"Bugonia" ist das Remake eines ebenso ausgefallenen südkoreanischen Films aus dem Jahr 2003 ("Save the Green Planet!"): eine verrückte schwarze Komödie mit Science-Fiction- und paranoiden Thriller-Elementen. Sie thematisiert die offensichtliche Unfähigkeit der Menschheit, die vorhersehbare Umweltkatastrophe aufzuhalten.

"Leider ist nicht viel von der Dystopie in diesem Film wirklich fiktiv, vieles spiegelt die reale Welt wider", sagte Lanthimos in Venedig. "Die Menschheit wird sehr bald Rechenschaft ablegen müssen. Die Menschen müssen den richtigen Weg wählen, sonst weiß ich nicht, wie viel Zeit uns noch bleibt."

Ein Hauch von Hitchcock: "No Other Choice"

"No Other Choice", der neue Film des südkoreanischen Regisseurs Park Chan-wook ("Oldboy", "Die Taschendiebin"), bedient sich ebenfalls der Komik, die sich aus der düsteren Realität unserer postindustriellen kapitalistischen Welt ergibt.

Der satirische Thriller erinnert an Alfred Hitchcock und erzählt die Geschichte eines hart arbeitenden Familienvaters, der zu verzweifelten Maßnahmen getrieben wird. 25 Jahre lang war Man-su (gespielt von Lee Byung-hun, Star aus "Squid Game") ein engagierter Mitarbeiter in einer Papierfabrik, ehe er nach einer Unternehmensübernahme auf der Straße landet.

Da er Gefahr läuft, sein Haus und seine hart erkämpfte Identität als Ernährer und produktiver Bürger zu verlieren, beschließt er, dass er "keine andere Wahl" hat, als seine Konkurrenten um einen neuen Job auszuschalten. Das löst eine Reihe von urkomischen, verpfuschten Versuchen aus, seine Mitbewerber zu beseitigen. Man-su mag zwar ein Spitzenarbeiter sein, aber er ist der schlechteste Killer der Welt.

"Wir alle hegen diese tiefe Angst vor Arbeitsplatzunsicherheit", sagte Park Chan-wook, der die letzten 20 Jahre damit verbracht hat, "No Other Choice" zu realisieren. "In diesen zwei Jahrzehnten erzählte ich die Geschichte den Menschen um mich herum, egal wohin ich ging, egal in welchem Land oder welcher Kultur. Sie alle konnten sich damit identifizieren."

Angst und Dystopie bei Netflix

Netflix setzt derweil auf Katastrophenthriller. Der Streaminganbieter stellt in Venedig mit drei Wettbewerbsbeiträgen einen Rekord auf. Neben dem wenig beeindruckenden "Jay Kelly" - mit George Clooney als George-Clooney-ähnlichem Star, den wir bemitleiden sollen - präsentierte Netflix zwei düstere Dramen, "A House of Dynamite" und "Frankenstein", die beide von Angst und Dystopie geprägt sind.

"House of Dynamite" ist ein Echtzeit-Thriller, der im Weißen Haus spielt, als eine Atomrakete auf die Vereinigten Staaten abgefeuert wird. Niemand weiß, wer dafür verantwortlich ist. Militärische und zivile Führungskräfte bemühen sich, schier unmögliche Entscheidungen darüber zu treffen, wen sie retten und wie sie reagieren sollen.

Mit diesem Film kehrt Kathryn Bigelow, Oscar-prämierte Regisseurin von "Tödliches Kommando - The Hurt Locker" und "Zero Dark Thirty", zu ihrer alten Form zurück und verwandelt den Countdown zur Katastrophe in ein atemberaubendes Spektakel voller Spannung und Schrecken.

"Der Film ist eine Aufforderung, zu entscheiden, was mit all diesen Waffen geschehen soll", sagte Bigelow in Venedig. "Wie nur kann die Vernichtung der Welt eine gute Verteidigungsmaßnahme sein?"

Das andere Netflix-Highlight ist Guillermo del Toros "Frankenstein", eine neue Adaption des klassischen Monsterfilms. Mit Oscar Issac als Doktor Victor Frankenstein und dem aufstrebenden Star Jakob Elordi als Kreatur - eine beeindruckende Leistung, die Elordi vom Hollywood-Beau zum Topstar machen dürfte -, bleibt der Film den viktorianisch-schauerlichen Wurzeln der Romanvorlage von Mary Shelley treu. Del Toro findet jedoch einen Weg, die oft erzählte Geschichte neu zu beleben.

Filmstill aus Frankenstein: Ein Mann liegt auf einem Gestell, ein anderer steht vor dem Fenster in einem viktorianisch anmutenden Labor
Die Schauspieler Jacob Elordi (l.) und Oscar Isaac brillieren in "Frankenstein"Bild: Netflix/AP Photo/picture alliance

Mia Goth und Christoph Waltz verstärken den Cast - Waltz ist großartig als schmieriger Waffenhändler, der Frankensteins Forschung finanziert. Aber dies ist vor allem Del Toros Film, der ein visuelles Festmahl geschaffen hat. "Frankenstein" hinterfragt das Streben nach technologischem Fortschritt auf Kosten der Menschlichkeit und fragt, ob Monstrosität durch das Aussehen oder durch das Handeln definiert wird.

In Venedig stellte del Toro eine direkte Verbindung zwischen Victor Frankensteins Schöpfung und dem Aufstieg von Technologien wie KI her. Das Gegenmittel zur künstlichen Intelligenz sei Intelligenz, sagte er. "Ich habe keine Angst vor KI", erklärte del Toro. "Ich habe Angst vor natürlicher Dummheit, die viel häufiger vorkommt."

Eine Kinderstimme aus Gaza

"Frankenstein" und "A House of Dynamite", "Bugonia" und "No Other Choice" sind die Favoriten für den Hauptpreis des Festivals, den Goldenen Löwen, der am Samstagabend verliehen wird.

Doch der stärkste Film in Venedig in diesem Jahr könnte einer der kleinsten sein. "The Voice of Hind Rajab" der tunesischen Regisseurin Kaouther Ben Hania erzählt die wahre Geschichte eines sechsjährigen Mädchens, das in Gaza in einem Auto gefangen ist, umgeben von den Leichen ihrer Angehörigen, während israelische Panzer heranrollen.

Ein Notruf erreicht die Freiwilligen des Roten Halbmonds: Eine Stunde lang blieb Hind mit den Mitarbeitern in Verbindung und flehte um Rettung. Doch der Krankenwagen, den man zu ihr schickt, wird zerstört; die beiden Sanitäter an Bord kamen ums Leben. Der Vorfall ereignete sich im Januar 2024 während der israelischen Invasion des Gazastreifens nach den Angriffen der Terrororganisation Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023.

Filmszene aus "The Voice of Hind Rajab": Drei Frauen und ein Mann starren auf ein handy
Das Notrufteam aus "The Voice of Hind Rajab" versucht, die verzweifelte Hind zu rettenBild: Mime Films/Tanit Films/AP Photo/picture alliance

Anhand der Originalaufnahmen von Hinds Anruf - Fragmente, die sich im Internet verbreiteten und später von internationalen Medien bestätigt wurden - lässt uns Ben Hania an den letzten Augenblicken des Mädchens teilhaben.

Auf diese Weise durchbricht sie die entmenschlichenden Statistiken über Opfer und zivile Todesfälle in Gaza und lässt uns die Stimme eines einzelnen Kindes hören, das um Hilfe fleht. Der Film erhielt in Venedig rekordverdächtige 23-minütige Standing Ovations.

"Aus persönlicher Sicht hatte ich einfach das Gefühl, dass ich etwas tun musste, um mich nicht mitschuldig zu machen", sagte Ben Hania. "Ich habe keine politische Macht. Ich bin keine Aktivistin. Alles, was ich habe, ist dieses eine Werkzeug, das ich ein wenig beherrsche - das Kino."

Fünf Menschen stehen nebeneinander, eine Frau hält das Foto eines kleinen Mädchens in den Händen
Die Filmcrew um Regisseurin Kaouther Ben Hania (2.v.l.) gedenkt der getöteten Hind RajabBild: Tiziana Fabi/AFP/Getty Images

Mit "The Voice of Hind Rajab" liefert Ben Hania den eindringlichsten Film der Filmfestspiele Venedig 2025. Es ist ein Film, der sich weigert, vor den realen Schrecken unserer Welt die Augen zu verschließen - mit dem Flehen eines Kindes, das noch lange nach dem Erlöschen des Bildschirms nachhallt.

Adaption aus dem Englischen: Katharina Abel

dw

dw

Ähnliche Nachrichten

Alle News
Animated ArrowAnimated ArrowAnimated Arrow