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Verruchtes hinter der Hecke: Cathy Marstons neuer Ballettabend «Countertime» in Zürich

Verruchtes hinter der Hecke: Cathy Marstons neuer Ballettabend «Countertime» in Zürich
Geballte Frauenpower: die Tänzerin Yun-Su Park (rechts) mit den Tänzerinnen des Ballett Zürich in Cathy Marstons «Mrs. Robinson».

Der Titel «Countertime» bedeutet Widerstand oder Abweichung. Denn Zürichs Ballettchefin Cathy Marston geht es in ihrer jüngsten Produktion am Opernhaus um den Ausbruch der jungen Generation aus dem Korsett eines vorgezeichneten Lebens. Dazu beleuchtet ihr dreiteiliger Ballettabend aus verschiedenen Perspektiven die 1960er Jahre, jene Zeit also, als die Generationen aufeinanderprallten und gesellschaftliche Strukturen aufbrachen.

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Herzstück des Abends ist Martons emanzipatorisches Stück «Mrs. Robinson» – ein Ballett, das die weibliche Hauptfigur aus dem bekannten Film «Die Reifeprüfung» nicht klischeehaft als laszive Verführerin zeigt, sondern als verletzliche Frau. Marston setzt damit ihre Zürcher Serie mit Befragungen klassischer Frauenbilder fort.

Unnahbar und geheimnisvoll

Charles Webbs 1963 erschienener Roman «The Graduate» wurde zur Grundlage für den Filmklassiker mit Dustin Hoffman und Anne Bancroft in den Hauptrollen. Das Ballett zum Film kreierte Zürichs Ballettchefin ursprünglich bereits 2022 für das San Francisco Ballet. Nun hat sie «Mrs. Robinson» mit ihrer Kompanie für die Bühne des Opernhauses adaptiert. Die Umsetzung gelingt so authentisch und atmosphärisch, dass man dabei stets den Song «Mrs. Robinson» von Simon & Garfunkel im Ohr zu haben glaubt – und das, obwohl die Philharmonia Zürich unter dem Dirigenten Robert Houssart ganz andere Musik spielt.

Der Komponist Terry Davies hat nämlich eine neue, in sich kreisende, traumhaft hypnotische Ballettmusik entworfen, in der das solistische Saxofon als melancholische Stimme von Mrs. Robinson deren Langeweile, Eifersucht und unterdrückte Wut ausdrückt. Es ist die tragische Geschichte einer Frau in mittleren Jahren, die eine aussereheliche Affäre mit einem jüngeren Mann hat und von ihrer eigenen Tochter verdrängt wird.

Zu Beginn des Balletts kehrt Benjamin Braddock nach dem College-Abschluss zu seinen Eltern nach Hause zurück. Benjamin (Lucas van Rensburg) hat keinen Plan, aber jede Menge Zweifel an seiner Zukunft. Bei seinem ersten Auftritt vergräbt van Rensburg beide Hände tief in den Taschen und hat offenkundig Mühe, sie rechtzeitig hervorzuholen für den Handschlag mit den alten Freunden. Etwas verloren steht der junge Mann auf der Bühne, ein wunderbar linkischer Benjamin, dem sein Zuhause und die Freunde fremd geworden sind. In der Sinnkrise schlittert er in eine Affäre mit Mrs. Robinson, einer verheirateten Frau aus dem Freundeskreis seiner Eltern. Später verliebt er sich in die Tochter Elaine, die Mutter reagiert mit Eifersucht.

Mrs. Robinson wird im Ballett als Aussenseiterin gezeigt, die anders ist als ihre Nachbarinnen. Sie setzt ihren Körper als Waffe ein. Ihre langen Beine in den schwarzen Strümpfen umklammern den jungen Liebhaber, fesseln ihn im wahrsten Sinne des Wortes. Die Tänzerin Yun-Su Park agiert in der Titelrolle leidenschaftlich, bleibt zugleich unnahbar und geheimnisvoll. Mit Verstecktem und Verruchtem in kleinen Gesten fängt das Ballett den Zeitgeist ein. Der Skandal, dass eine verheiratete Frau und ein junger Mann eine Affäre haben, wird nachvollziehbar im Kontrast zu einer blitzblanken Scheinwelt wie aus dem Werbeprospekt.

Das Symbol dafür ist die «Chorus-Line» der Hausfrauen, die äusserliche Perfektion zelebrieren. Die Tänzerinnen des Corps de ballet backen, putzen und staubsaugen im Gleichschritt und wirken in ihren Kleidern und Schürzen stets adrett, wie aus dem Ei gepellt. Nach der Hausarbeit empfangen sie ihre Ehemänner lächelnd zur Cocktail-Party. Ganz anders Mrs. Robinson. Die Beziehung mit ihrem Ehemann (Karen Azatyan) wirkt unterkühlt und leblos. Die Affäre gibt ihr kurzzeitig das Gefühl, Macht über den Geliebten zu haben. Als dieser sich in ihre Tochter Elaine (Nehanda Péguillan) verliebt, wird daraus hilflose Eifersucht auf die Jugend.

Ob Mrs. Robinson der Ausbruch aus der verfahrenen Lebenssituation gelingt, bleibt am Ende offen. In der dichten grünen Hecke auf der Bühne tut sich eine Gartentür auf, durch die Mrs. Robinson hinaustritt, um ihre Vorstadthölle zu verlassen. Cathy Marston gibt ihrer Titelfigur damit eine andere Perspektive als der Film: «Ich wollte unter die Oberfläche gehen und herausfinden, warum sie so ist, wie sie ist, warum sie die Dinge tut, die sie tut», erklärt Marston. Das ist ihr mit dem Ballett auf einfühlsame Weise gelungen.

Nicht zwingend

Fragen werfen die beiden anderen Stücke auf, mit denen Marston ihre Choreografie kombiniert. Zuvor tanzt das Ballett Zürich ein neoklassisches Stück von Kenneth MacMillan. In seinem 1966 entstandenen Ballett «Concerto» zur Musik von Dmitri Schostakowitschs 2. Klavierkonzert schuf MacMillan mit der abstrakten Sprache des klassischen Balletts ein virtuoses Werk. Das Ballett Zürich zeigt sich dem hohen technischen Anspruch gewachsen. Das Ganze wirkt aber etwas gezirkelt, auch wenn die Farben der Kostüme in Orange, Sonnengelb und Kastanienbraun einen sofort in die Ästhetik der 1960er und 1970er Jahre versetzen.

Max Richter und Brandon Lawrence in Kenneth MacMillans «Concerto».

Der Pas de deux im zweiten Satz mit dem Tänzerpaar Max Richter und Brandon Lawrence wird zum Höhepunkt fliessender tänzerischer Ausdruckskunst. Der Choreograf brachte darin die Faszination für seine Muse, die Ballerina Lynn Seymour, zum Ausdruck. Die Zürcher Tänzerin Max Richter bleibt dieser Rolle in puncto Geschmeidigkeit und lyrischer Versenkung nichts schuldig. Die Gruppe setzt kraftvolle Akzente zu den jazzigen Synkopen des Soloparts, der von der Pianistin Kateryna Tereshchenko temperamentvoll gespielt wird.

Den Abschluss des Abends bildet die Uraufführung von Bryan Arias’ Tanzstück «Colorful Darkness» mit Karnevalsstimmung zu Leonard Bernsteins «Symphonic Dances». Die Kostüme und Masken spielen auf den Karneval in Arias’ Heimat Puerto-Rico an. Aber auch hier ist die Verbindung zu den beiden vorausgegangenen Stücken nicht zwingend. Bernstein arrangierte 1960 die Highlights aus seinem Musical «West Side Story» in der Orchestersuite «Symphonic Dances».

Der Choreograf erfindet dazu zwar originelle Bewegungen, doch die Musik wirkt zu dominant für das lockere, ausgelassene Gruppenstück mit den spiralförmigen Moves und lässt wenig Raum für tänzerische Entwicklungen. Die zeitgenössische «Fiesta de la vida» bleibt damit vor allem ein farbenfroher Schlusspunkt. Das Premierenpublikum spendete der mitreissenden Lebensfreude denn auch begeisterten Applaus.

Szene aus der Uraufführung von Bryan Arias’ Tanzstück «Colorful Darkness» mit dem Ballett Zürich.
nzz.ch

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