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Alexander Teske: West-Medienmacher wollen nicht diskriminieren, bei Ossis machen sie eine Ausnahme

Alexander Teske: West-Medienmacher wollen nicht diskriminieren, bei Ossis machen sie eine Ausnahme

Seit acht Jahren lebe ich in Hamburg. Immer wieder wundere ich mich hier über das Bild der Westdeutschen vom Osten. Es stimmt nicht mit meinem Bild überein. Dabei habe ich die ersten 45 Jahre meines Lebens in Leipzig, Chemnitz und Ost-Berlin gewohnt und bin noch regelmäßig in meiner Heimat. Woher haben die Hamburger und die Westdeutschen ihre Meinung über den Osten? Selten haben sie direkte Kontakte und sind vor Ort. Ihr Bild machen sie sich vor allem durch die Medien, die sie konsumieren. Und diese Medien sitzen ausschließlich im Westen – geführt von westdeutschen Journalisten.

Im Osten werden sie kaum gelesen. Weswegen auch für das westdeutsche Publikum geschrieben und gesendet wird. Ein Beispiel: Hanna und Weronika aus Görlitz betreiben den Blog „Eastplaining“. Hier erklären die Frauen, 23 und 24 Jahre alt, Gleichaltrigen den Osten. Weil sie es leid waren, mit den immer gleichen Vorurteilen konfrontiert zu werden. Im März dieses Jahres bekamen sie eine Mail vom Spiegel aus Hamburg: Man wolle sie vorstellen. Kurz zuvor hatten sie sich kritisch gegenüber der AfD geäußert. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit ist das jedoch nicht. „Wir waren von Anfang an skeptisch“, sagt Weronika. Die beiden Frauen wollen sich und ihre Arbeit bei weitem nicht nur auf das Thema AfD reduziert sehen, haben Befürchtungen in die Richtung.

In einem Telefonat äußern sie Bedenken, dass der Spiegel alte, gängige Stereotype aufwärmen wird. Dann sagen sie doch zu. Weronika: „Wir hatten den Deal, das Skript vorab lesen zu können.“ Anfang April wird mit dem Spiegel eineinhalb Tage lang gedreht. Hanna und Weronika zeigen dem Team ihre Heimatstadt an der polnischen Grenze: Was dort alles gut läuft und was weniger, was sich verändert hat. Sie bemühen sich, ein differenziertes Bild zu zeichnen. Die Redakteure scheinen interessiert. Gedreht wird auch die Montagsdemonstration. Hier laufen Neonazis neben Friedensaktivisten und Impfgegnern.

Vorurteil über den „rechten Osten“: Auch wenn die Quote der AfD-Wähler dort höher ist, 70 Prozent ihrer Stimmen holte die AfD im Westen.
Vorurteil über den „rechten Osten“: Auch wenn die Quote der AfD-Wähler dort höher ist, 70 Prozent ihrer Stimmen holte die AfD im Westen.Der OSebastian Kahnert/dpa
Stereotype über den Osten reproduziert

Hanna und Weronika sind auf der kleinen Gegendemo. Jeweils 30 Minuten wird auf den Demos gedreht. Dann erscheint der Beitrag, Hanna und Weronika sind die Topmeldung der Seite. Aber: „Was im Film gezeigt wurde, war nicht das, was wir darstellen wollten.“ Denn die Hälfte des Films handelte von den unbedeutenden Demos. Das sollte typisch für Görlitz, typisch für den ganzen Osten sein. „Der Beitrag war klar für westdeutsche Leser verfasst und hat viele Stereotype reproduziert. Görlitz hat 56.000 Einwohner und der Spiegel fokussiert sich auf 70 Demonstranten. Das war so Safari-Journalismus – wir fahren mal kurz rüber und gucken, wie es da aussieht. Wir hatten das Gefühl, unsere Ideale zu verraten“, sagt Weronika.

Das Versprechen, das Skript vorab einsehen zu können, halten die Hamburger formal ein – am Ostersonntag schicken sie um 16 Uhr eine Mail. Am nächsten Morgen ist der Beitrag online. „Wir haben uns überfahren gefühlt.“ Die jungen Frauen haben plötzlich volle Postfächer, erhalten viele Reaktionen. An den Zugriffen auf ihre Seite können sie nachvollziehen, wo die Leser des Spiegel vor allem wohnen: in westdeutschen Großstädten. Sie verfassen als Reaktion einen Eintrag auf ihrem Blog mit ihrer Sicht der Dinge, sie haben das Gefühl, etwas richtigstellen zu müssen.

Darin heißt es: „Das Video beginnt nicht mit uns, sondern mit einem älteren Herrn, der gegen ‚das System‘ ist, … ich hätte es schön gefunden, wenn man in einem Beitrag über Ostdeutschland zur Abwechslung mal nicht mit den Bildern einsteigt, die eh schon jede*r kennt. Was ist der Mehrwert?“ Und weiter: „Es war nicht unsere Absicht, uns als tapfere Kämpferinnen gegen den blauen Sumpf zu inszenieren … Wir wollen nicht noch mehr polarisieren. Die Menschen sind nicht dumm, auch die Montagsdemonstrierenden nicht … Wir wollten keine plakative Gegenüberstellung von ‚junge, gut gebildete und intelligente Bloggerinnen‘ versus ‚ältere, leicht rückständige Alt-DDRler und Nazis‘. Wir sind nicht die Guten, und ‚die‘ sind nicht die Bösen.“

Der Eintrag wird 2000-mal gelesen. „Erst dann haben Leute, die auch den Spiegel-Beitrag kannten, gesagt: Oh, ja, stimmt, wir wurden wieder darauf reduziert, wie rechts der Osten ist,“ sagt Weronika. Von der Spiegel-Redaktion haben sie nie wieder etwas gehört. Einen positiven Effekt hat die Geschichte jedoch für die beiden Frauen, die in Thüringen studieren: Wurde ihre Seite vorher etwa 250-mal im Monat aufgerufen, haben sie nun etwa 3500 Zugriffe. Und Hanna und Weronika werden als Rednerinnen angefragt. So können sie den Osten erklären, wie sie ihn sehen – frei von Vorurteilen.

Wenn der Osten wieder mal als komplett blaue Zone abgetan wird: der westdeutsche Rechtsextreme Björn Höcke (l.), Vorsitzender der AfD-Fraktion im thüringischen Landtag.
Wenn der Osten wieder mal als komplett blaue Zone abgetan wird: der westdeutsche Rechtsextreme Björn Höcke (l.), Vorsitzender der AfD-Fraktion im thüringischen Landtag.Kay Nietfeld/dpa +
„Oh, wie braun ist Thüringen“

Die Geschichte von Hanna und Weronika ist kein Einzelfall. Der Spiegel ist Wiederholungstäter. Der Literaturwissenschaftler Dirk Oschmann gab auf den Mitteldeutschen Medientagen vor kurzem ein Zitat aus der Ausgabe 39/1990 zum Besten, in dem es über Ostdeutsche heißt: „Geduldig warten sie, morgens kurz vor neun, in der Schlange vor der Aldi-Tür, bleiches Gesicht, fettiges Haar, Blick nach unten, geduckte Haltung. Kurze Steppjacken, verwaschene, formlose Jeans, beige-graue Schuhe, verknitterte Plastetüten in der Hand. Wenn sie sprechen, dann in merkwürdigen Idiomen. Manche riechen, und manche klauen wie die Raben, bloß ihre Frauen kriegen öfter einen Orgasmus.“

In der sehenswerten MDR-Dokumentation „Es ist kompliziert – der Osten in den Medien“ werden noch einmal alle Spiegel-Cover gezeigt – „Milliardengrab Aufschwung Ost“, „So isser, der Ossi“ oder „Jammertal Ost“. Der langjährige Reporter Hajo Schumacher, seinerzeit auch für Sportthemen des Blattes unterwegs, erzählt: „Der Kampfauftrag damals lautete: Fahr mal rüber und bring uns Sportler und Sportfunktionäre oder auch Trainer, die entweder eine Stasi-Geschichte haben oder eine Doping-Geschichte haben oder idealerweise beides.“

Dieser Linie bleibt man auch heute treu. Im Newsletter des Spiegel heißt es im Juli 2024: „Die Bewohner der Bundesländer Thüringen, Brandenburg und Sachsen haben im September bei den Landtagswahlen die große Chance, ihren Ruf endgültig zu verlieren.“ Zwei Wochen später wird die „Lage am Morgen“ überschrieben mit: „Oh, wie braun ist Thüringen“. Im September folgt eine als Satire bezeichnete „Wählerbeschimpfung“. Mal wird die ostdeutsche Erfolgsgeschichte des Verlags Katapult in Greifswald diffamiert, mal der Verleger dieser Zeitung, Holger Friedrich, verleumdet. Dass der Spiegel dabei nur stellvertretend für große Teile der westdeutschen Medien steht, zeigt die Berichterstattung über die Wiederbelebung der Weltbühne durch Friedrich.

Natürlich ist es legitim, auch kritische Stimmen zu Wort kommen zu lassen. Die Grenze zur Polemik haben dabei einige Kollegen zum Beispiel der FAZ leider überschritten. Und man fragt sich: Würden sie so auch über einen mächtigen westdeutschen Verleger herfallen? Welche Reflexe da ausgelöst werden, ist wohl eher ein Fall für eine psychologische Studie. Westdeutsche Medienmacher sind sich einig, dass man Schwerbehinderte, Migranten, Frauen, queere Personen oder arme Menschen nicht beleidigen sollte. Nur bei den Ossis machen sie gern mal eine Ausnahme. Nach der Bundestagswahl war in vielen Blättern zu lesen, der Osten sei blau.

Selten erwähnt wurde, dass die AfD 70 Prozent ihrer Stimmen im Westen holte. In der Folge gab es zahlreiche Berichte wie im Tagesspiegel, dass Westdeutsche angeblich ihren Urlaub im Osten absagen wollten, weil sie nicht bei Faschisten Urlaub machen wollen. Dabei lässt sich das nicht mit den gebuchten Übernachtungszahlen belegen. Ein Beispiel für Safari-Journalismus lieferte auch die FAZ am 2. März 2025 ab. Ganzseitig versucht da eine westdeutsche Redakteurin zu erkunden, warum der Landkreis Eichsfeld erstmals nicht CDU, sondern AfD gewählt hat. Sie vermutet, dass es Menschen sind, die sich „das erste Pils genehmigen, noch bevor die Kirchenglocke viermal schlägt“. Und natürlich sind die sozialen Netzwerke schuld. Die Redakteurin scheint schwer mit Menschen ins Gespräch zu kommen, und der Artikel endet mit der eigenwilligen Annahme, dass die AfD kommunal nicht so stark werde, da sie keinen Wahlkampf gemacht habe, man sie im Stadtrat nicht kenne und sie regional nicht vor Ort seien.

Hier waren die Westmedien seltsamerweise nie auf Vielfalt aus: Jana Hensel von der „Zeit“ galt lange Jahre als einzige Osterklärerin.
Hier waren die Westmedien seltsamerweise nie auf Vielfalt aus: Jana Hensel von der „Zeit“ galt lange Jahre als einzige Osterklärerin.Metodi Popow/imago
Nicht immer nur Jana Hensel als Stimme des Ostens

Auch Silvio Schwartz betreibt einen Blog. Seit 2011 sammelt er auf einwende.de vor allem Beispiele, wie Medien auf Ostdeutschland schauen, weil er es schade fand, dass „immer nur Jana Hensel als junge Stimme aus dem Osten sprach“, und er sich mehr Vielfalt und Differenzierung wünschte. „Wenn Rechtsextremismus medial zum reinen Ost-Problem wird“ heißt ein aktueller Eintrag über Deutschlandradio Kultur. Der Beitrag leide unter einem alten Muster: „Ostdeutschland als Projektionsfläche für alles, was politisch schiefläuft.“ Denn unter der Überschrift „Junge Nazis in Deutschland“ wird nur in den Osten geblickt. Der aktuellste Eintrag auf einwende.de widmet sich der taz und einem Besuch des Redakteurs in Wandlitz unter der Überschrift: „Wo die feisten Bonzen wohnten“.

Schwartz schreibt dazu: „Wer die DDR als skurrilen Sonderfall betrachtet, der erschwert einen ehrlichen Dialog über Vergangenheit, Verantwortung und Zusammenwachsen. Er entpolitisiert Erfahrungen, die bis heute gesellschaftlich nachwirken. Und er trägt dazu bei, dass sich viele Ostdeutsche nicht ernst genommen fühlen.“ Im Gespräch sagt Schwartz: „Früher war es noch absurder. Jetzt ist es nicht mehr ganz so hanebüchen, es gibt mehr Sensibilität. Zum einen arbeiten mehr Ostdeutsche in den Redaktionen, zum anderen haben Pegida und der Lügenpresse-Vorwurf zu einem Umdenken geführt, dass man mehr aufpasst, was man schreibt. Was es aber immer noch gibt, ist dieser Eventjournalismus, dass man vor Wahlen oder dem Tag der Deutschen Einheit berichtet.“

Ein letztes Beispiel: die Berichterstattung über einen neuen Trend, die sogenannten Ostmullen. Das sind junge Frauen aus dem Osten, die sich auf TikTok mit Schminke, Rechtsrock und Deutschlandflagge in Szene setzen und zu Songs von Freiwild oder Böhse Onkelz die Lippen bewegen. Für einen Podcast der Welt ist das „Thema auf schreckliche Weise faszinierend“. Dazu Schwartz: „Es ist weniger der Versuch, zu verstehen, als ein Gaffen auf ein Phänomen, das als abseitig empfunden wird. Ostdeutschland wird vor allem als Problemzone inszeniert.“

Natürlich wird der Westen wieder als die Norm und der Osten als die Abweichung davon betrachtet. Und natürlich kommen die Betroffenen nicht zu Wort – es wird über sie geredet, aber nicht mit ihnen. Wenn Ihnen also demnächst wieder einmal ein Westdeutscher den Osten erklären will und sagt, dass Sie die Demokratie nicht verstanden haben – urteilen Sie nicht allzu hart: Er weiß es nicht besser, er konsumiert westdeutsche Leitmedien.

Berliner-zeitung

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