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Hermannplatz in Neukölln hat einen neuen Namen: Wer ist Hind Rajab?

Hermannplatz in Neukölln hat einen neuen Namen: Wer ist Hind Rajab?

Der Hermannplatz in Berlin-Neukölln hat einen neuen Namen: Hind-Rajab-Platz. Um eine offizielle Umbenennung handelt es sich nicht. Der neue Name ist schon vor einiger Zeit an den Sockel der Bronzeplastik „Tanzendes Paar“ von Joachim Schmettau gesprüht worden. In eine Ecke über den Plakaten, die dort klebten. Jetzt ist es anders. Der Sockel ist vor ein paar Tagen von Aktivisten neu gestaltet worden. Nun ist die Umbenennung nicht mehr zu übersehen. In schwarzer Schreibschrift steht „Hind-Rajab-Platz“ auf hellgelbem Grund. Doch wer ist Hind Rajab?

In der muslimischen Welt ist der Name Hind Rajab bekannt. Das bestätigt auch der Mann, der gerade seinen Kleidungsstand aufbaut. Es ist Wochenmarkt auf dem Hermannplatz in Neukölln. Er erklärt: Hind Rajab sei ein palästinensisches Mädchen, das von Soldaten der israelischen Armee getötet worden sei. Dass die israelische Armee dies bestreitet, sagt er nicht. Vielleicht weiß er es nicht, vielleicht glaubt er ihnen nicht. Er sei Türke, sagt er, er sei Moslem.

Hind Rajab ist im Januar 2024 im Gazastreifen gestorben. Fünf Jahre war sie alt. Sie lag tot in einem Auto, nicht weit von einer Tankstelle. Der Wagen wurde von Schüssen durchsiebt. Auch die Hilfsorganisation Roter Halbmond sagt, die israelische Armee habe sie getötet. Die Familienmitglieder, mit denen sie auf der Flucht aus Gaza-Stadt in den Süden des Gazastreifens war, der Onkel, die Tante und drei Cousins, waren schon tot. Sie aber lebte noch drei Stunden, umgeben von den Leichen, und stand die ganze Zeit mit Helfern des Roten Halbmonds in Verbindung, bat um Rettung. Dieses Gespräch wurde von den Sanitätern aufgenommen. Es ist diese Audiodatei, die das Schicksal von Hind Rajab herausragen lässt, aus dem der Tausenden Kinder, die seit dem 7. Oktober in Gaza getötet worden sind.

Das neue Graffiti auf dem Hermannplatz in Neukölln.
Das neue Graffiti auf dem Hermannplatz in Neukölln.Susanne Lenz/Berliner Zeitung

Die beiden Sanitäter, die sich endlich auf den Weg zu ihr machten, weil es so lange gedauert hatte, bis sie die Genehmigung der israelischen Armee bekamen, wurden ebenfalls getötet. Wahrscheinlich von der israelischen Armee, wie eine ausführliche Recherche der Washington Post nahelegt, genau wie Hind Rajab und ihre Familie. Die amerikanischen Journalisten werteten Satellitenbilder aus und sprachen mit Munitionsexperten. Der ausgebrannte Krankenwagen wurde nur 50 Meter von dem Wagen entfernt gefunden, in dem Hind Rajab starb.

„Die Stimme von Hind Rajab“ kommt im Januar ins Kino

Seit der Film „The Voice of Hind Rajab – Die Stimme von Hind Rajab“ beim Filmfestival in Venedig im September Furore machte, kennen mehr Menschen den Namen des Mädchens. Und wenn der Film am 22. Januar in die deutschen Kinos kommt, werden es noch mehr werden. Das Herzstück des Films ist die Originalaufnahme des Gesprächs zwischen Hind Rajab und den Helfern des Roten Kreuzes. Man kann hören, wie Hind Rajab um Hilfe fleht.

Die tunesische Regisseurin Kaouther Ben Hania hat diesen Film gemacht. Eine ganze Reihe großer Namen aus Hollywood unterstützen sie als Produzenten: Joaquin Phoenix, Brad Pitt, Jonathan Glazer. Kaouther Ben Hania hat in einem Interview gesagt, der Rote Halbmond habe nach Hind Rajabs Tod einen Ausschnitt des Dialogs mit dem kleinen Mädchen im Internet veröffentlicht. Das habe sie gehört und sich direkt angesprochen gefühlt – von dieser Stimme.

In Venedig wurde „The Voice of Hind Rajab“ mit dem Preis der Jury ausgezeichnet. Bei der Premiere gab es unglaubliche 22 Minuten stehende Ovationen. Es gab Tränen, aber auch Kritik: Der Film sei manipulativ, sei Agitprop, es fehle der politische Kontext, so der Tenor der Filmkritiker. Dass sie die originale Aufnahme verwendet hat, gilt manchen als Sensationalismus. Kaouther Ben Hania verteidigt diese Entscheidung: Hinds Mutter habe gewollt, dass die Stimme ihrer Tochter gehört wird. Die Regisseurin sieht die Kritik in einem weiteren Kontext: Wenn man die Stimme von Palästinensern hörbar mache, würde man der Ausbeutung beschuldigt. „Das ist eine Art, einen zum Schweigen zu bringen.“

Und nun also der Hermannplatz. Auf einer anderen Seite des Sockels ist ebenfalls auf dem gleichen gelben Untergrund ein auf dem Kopf stehendes rotes Dreieck zu sehen, das von vielen als Hamas-Symbol interpretiert wird, von anderen als Symbol für die palästinensische Flagge. So sagt es auch der türkische Standbesitzer. Mit der Neugestaltung des Sockels geht es jedenfalls um mehr als dieses eine Schicksal. Mit Hind Rajab wird Politik gemacht: Es gibt eine Stiftung, die nach ihr benannt ist. Ihr Programm: „Gerechtigkeit für die Opfer des Genozids in Gaza“.

Der Hermannplatz gilt als kriminalitätsbelasteter Ort

Der Hermannplatz ist genau wie die Hermannstraße, die von ihm abgeht, nach Hermann dem Cherusker benannt. Vor 2000 Jahren vernichtete der Cheruskerfürst drei römische Legionen. Der Platz gilt als einer von sieben kriminalitätsbelasteten Orten in Berlin, denn in der Gegend rund um den Hermannplatz und im Donaukiez gibt es laut Polizei besonders viele Diebstähle, Drogendelikte und Körperverletzungen. Die Beamten haben hier Sonderrechte. Seit dem 7. Oktober 2023 haben hier immer wieder propalästinensische Kundgebungen stattgefunden, zuletzt eine Freudenfeier anlässlich des Geiseldeals, durch den auch fast 2000 Palästinenser aus israelischen Gefängnissen freigekommen sind.

Der Hermannplatz gilt als Tor zu Neukölln, der Norden des Bezirks hat eine vor allem arabisch geprägte Nachbarschaft. Hier beginnt die Sonnenallee, die nach 2015 den Beinamen Scharia al Arab bekam, arabische Straße. Hier gibt es Bäckereien, Supermärkte, Imbisse und Barbershops. Viele dieser Läden haben Syrer eröffnet, die als Flüchtlinge nach Berlin gekommen sind.

Kein Wunder also, dass die arabische Community diesen Platz immer wieder in Besitz nimmt, auch durch das Graffiti auf dem Sockel der Tanzenden, die sich früher im Kreis gedreht haben. Man kann sich fragen, warum der Sockel jetzt neu gestaltet wurde. Heißt das: Wir vergessen nicht? Oder heißt es vielleicht auch: Wir vergeben nicht, selbst wenn derzeit die Waffen schweigen?

Berliner-zeitung

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