Ist die Welt zu retten? Vielleicht mit musikalischer Magie. Darauf hoffen junge Schweizer Pop-Sängerinnen wie Mel D


Die Welt kann einem manchmal zu viel werden. So sehr, dass einen die Ohnmacht ergreift. Die Bündner Musikerin Melanie Danuser alias Mel D kennt das gut. «Ich frage mich dann: Wie kann ich überhaupt rechtfertigen, dass ich einfach Musik mache, wenn so viel schiefläuft auf der Welt?» Ihre Antwort: Wenn man die Welt musikalisch verzaubert. Das hat sie auch mit «Bring The Witches Back» versucht, dem Schlüsselsong ihres Debütalbums «Young Bones».
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«My body is shaking heavily, I am so scared of all the things we see. Can someone just bring witches back, I guess that’s what we need», singt sie hier. Die Hexen sollen es richten. Der ängstliche Blick auf die Welt in Schieflage ruft bei ihr den Wunsch nach magischer Hilfe hervor.
Möglichst viel FreiheitWas sie damit meint, illustriert ein Videoclip. Während eines kurzen Auftritts am letztjährigen Montreux Jazz Festival platzierte sie den Song am Ende des Sets, trat dazu ins Publikum, schritt mit schwingenden Armen durch die Reihen, wurde sozusagen selbst zu einer Hexenmeisterin, die die Leute zum Mitsingen animierte. «Das ist für mich Magie: Alle hören aufeinander, alle geben sich mit ein, und dann entsteht etwas Grösseres, etwas extrem Kraftvolles.»
Mit dem Mitsingen des Publikums habe es noch nie nicht funktioniert, meint sie. Das aber ist für sie beispielhaft für ein allgemeines kommunikatives Rezept. Wenn alle aufeinander zugingen und gemeinsam etwas anstimmten, dann entstehe eine Harmonie, der sich niemand entziehen könne.
Damit das bei den Konzerten weiterhin funktioniert, will sich die 29-Jährige auf der Bühne möglichst viele Freiheiten herausnehmen. Sie möchte spielerisch mit ihrem Material umgehen, auf das Publikum zugehen und es immer wieder überraschen. «Ich finde nichts langweiliger, als einfach eine Platte nachzuspielen, oder nicht?»
Als Live-Besetzung hat sie ein Trio gewählt – Schlagzeug, Bass, sie selbst an der E-Gitarre. Oft werden die Songs dann schroffer, rockiger, und sie werden mit kurzen Solos verziert. Dabei spielt sie noch gar nicht lange Gitarre: «Aber jede Nervosität ist mit dem ersten Ton verflogen.»
Ihre Musik würde auch gar nicht funktionieren, wenn Brust und Kehle nicht frei wären. Ihr Gesang ist zärtlich, fein nuanciert, ihre Stimme hat ganz viele verschiedene Schattierungen und einen Reifegrad, dem man die menschliche Entwicklung, um die es auf dem Album geht, direkt anhört. Mel D hat den Drang, sich mitzuteilen. Den hatte sie schon immer. «Heute bin ich wohl ein bisschen süchtig danach», sagt sie offen. Dennoch wird auf dem ausschliesslich englisch gesungenen Album das Autobiografische nicht forciert.
Jedes Detail sitztMit 22 gründete Mel D das Elektronik-Duo Mischgewebe, später folgten erste Soloauftritte und Tourneen als Sidekick des Singer-Songwriters Faber. Seit zehn Jahren lebt sie in Zürich, wo sie nun mithilfe des Multitalents Dino Brandão ihr Debütalbum «Young Bones» erarbeitet hat. Brandão ist auch ihr Duettpartner beim Song «We Win». «I swim, you swim, we win», heisst es im Refrain – gemeint ist: Wenn beide sich abstrampeln und aufeinander zuschwimmen, klappt es mit der Beziehung.
Mel D lernte Brandão während der Pandemie bei einem Konzert mit Sophie Hunger und Faber kennen. Sie freundeten sich an und begannen, gemeinsam zu musizieren. Seither treffen sie sich unregelmässig zu Sessions in seinem Studio: «Wenn ich finde, es sei wieder an der Zeit.» Dann werden aus Skizzen Songs.
Produziert hat das Album der prominente Franzose Renaud Letang, der bereits bei grossen Alben von Feist, Manu Chao, Chilly Gonzales mitgewirkt hat. Ein Produzent von Weltformat, ewig im Geschäft. Jemand, der jetzt nicht zwingend auf eine junge, mittellose Musikerin aus der Schweiz gewartet hat. Oder vielleicht doch? Überzeugt von ihrem Gesangstalent, willigte er sofort ein, Mel Ds Album zu produzieren, um sich dann zwei Monate Zeit dafür zu nehmen.
Das ist bestens hörbar: Die Songs klingen ausgereift, sie ruhen in sich selbst. Jede Chorstimme, jeder Sound, jedes Detail sitzt. Auf «Young Bones» geht es um Abschied, um Freundschaft, ums Erwachsenwerden. Auf die Beschreibung «romantisch» reagiert die Künstlerin selbst etwas irritiert. Aber genau so wirkt der Tonfall: romantisch im Sinne von gefühlsbetont, verträumt, geheimnisvoll.
Mel D reiht sich ein in eine Generation von Musikerinnen, die nicht lauter singen, um sich Gehör zu verschaffen, sondern leiser, intimer – und gerade darin ihre Stärke finden. Das gilt auch für die Luzernerin Solong alias Klara Germanier. Ihr Gitarrensound klingt wie ein Gebirgsmassiv im Nebel – roh und zart zugleich. Sie bewegt sich irgendwo zwischen Patti Smith und PJ Harvey, beeinflusst scheint sie auch von Jack White oder Cat Power.
Und doch agiert sie erfrischend eigenwillig. Ihre jüngst erschienene EP «Skeleton» deckt mit gerade einmal vier Songs eine immense Bandbreite zwischen Indie-Rock und angenehm ungeglättetem Zeitlupen-Pop ab. Neben ihrem Soloprojekt leiht sie ihre Stimme auch den Bands von Evelinn Trouble oder Klepka.
Zu der Szene junger Schweizer Pop-Sängerinnen zählt auch Andrina Bollinger, obwohl sie bereits einen längeren Weg zurückgelegt hat. Gerade hat sie mit dem Song «Each Sun Casts a Shadow» die Reise zu einem neuen Album angetreten (geplant ist es für Frühjahr 2026).
Der Song aber zeigt einmal mehr ihr herausragendes Talent. Aus einer zarten Welle steigert er sich in eine schillernde Stromschnelle. Es dauert ein wenig, bis man sich in dem Rhythmus zurechtgefunden hat, aber dann nimmt er sich surreal aus wie eine finstere Erleuchtung. Sie habe die Erfahrung gemacht, dass die Dunkelheit oft mehr Ehrlichkeit zulasse als Licht, meint Bollinger. Dem Lied liege aber tatsächlich ein traumatisches Erlebnis zugrunde.
Vielleicht liegt das Talent dieser jungen Künstlerinnen darin, dass sie sich nicht aufdrängen, dass sie einen nicht anschreien. Ihre Musik ist eine Einladung. Sie vertrauen darauf, dass das Publikum sich ihnen annähert. Ob sie nun tatsächlich die Welt retten oder vielleicht bloss die Musikszene auffrischen. Ihre Musik lebt von diskreter Magie.
nzz.ch