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Klub-WM | FC Barcelona: Wenn der Kinderglaube stirbt

Klub-WM | FC Barcelona: Wenn der Kinderglaube stirbt
Als Wolfgang Funkel zusammenbrach und Ronald Koeman die Arme ausbreitete – war ein ganzes Stadion still.

Der Fußball lebt von Illusionen. Vom Wunschdenken, dass David dem Goliath gelegentlich einen derartigen Tritt gegen das Schienbein verpasst, dass dieser ins Straucheln gerät und stürzt. Nur müssen diese Illusionen ab und an gefüttert werden, sonst verkümmern sie. Wenn Bayern München von zwölf möglichen Meisterschaften elf gewinnt, trägt dies nicht dazu bei, an die Unberechenbarkeit dieses Sports zu glauben.

Mein Traumgebilde vom Profifußball wurde am Mittwoch, 6. November 1991, zertrümmert. Der 1. FC Kaiserslautern trat in der zweiten Runde des Europapokals der Landesmeister gegen den FC Barcelona an. Auf dem Papier eine eindeutige Sache. Der deutsche Überraschungsmeister schien chancenlos gegen die Startruppe aus Spanien, die von Johan Cruyff trainiert wurde.

Wie sollten No-Names wie Frank Lelle, Marcel Witeczek, Oliver Schäfer und Guido Hoffmann auch nur den Hauch einer Chance haben gegen eine Mannschaft, die vom Torwart bis zum Flügelstürmer aus Spitzenspielern verschiedener Länder bestand! Da gab es den Bulgaren Hristo Stoichkov, den Dänen Michael Laudrup und den Holländer Ronald Koeman plus die halbe spanische Nationalelf, darunter ein gewisser Pep Guardiola, der damals noch selbst kickte. Zu allem Unglück fehlte Lauterns einziger Vorzeigespieler neben Stefan Kuntz: Libero Miroslav Kadlec, der sonst die Abwehr zusammenhielt.

Das Hinspiel hatte der 1. FCK unglücklich 0:2 verloren. Im Rückspiel auf dem Betzenberg, der damals noch eine klaustrophobische Festung war, in der Schiedsrichter und gegnerische Mannschaft regelmäßig zermürbt wurden, drehten die Lauterer auf. Nach 89 Minuten stand es 3:0 für die Pfälzer. Der Favorit taumelte am Abgrund.

In der 90. Minute köpfte José Mari Bakero, ebenfalls spanischer Nationalspieler, das 1:3. Mehr als ein Ehrentreffer. Aufgrund der Auswärtstorregelung schied Kaiserslautern aus. Barcelona kam weiter und gewann ein paar Monate später auch den Europapokal. In der Saison darauf wurde die Champions League eingeführt.

Nie habe ich den Betzenberg so ruhig erlebt wie nach dem spanischen Gegentreffer. Es war nicht nur das Entsetzen über den K. o. in letzter Minute. Der Schock ging tiefer. Normalerweise sind Fußballfans Weltmeister im Finden und Erfinden von Erklärungen, warum der erhoffte Erfolg ausgeblieben ist. Mal schiebt man es auf die Sehschwäche des Schiedsrichters, der nicht in der Lage war, ein Foul im gegnerischen Strafraum als solches zu erkennen. Mal verflucht man Pfosten und Latte, die der Torerzielung im Weg standen. Und oft genug macht man die Unfähigkeit der eigenen Mannschaft, den Ball ins andere Netz zu befördern, für das Scheitern haftbar.

Bisher sind in dieser Reihe erschienen: Tumb ist die Hoffnung (Schalke 04) von Alfons Huckebrink Sorry, Musterknabe (Arminia Bielefeld) von Fritz Tietz Glatt wie ein Weseraal (Paris Saint-Germain) von Christian Klemm

Doch im konkreten Fall lagen die Dinge anders. Kaiserslautern hatte das Spiel dominiert. Die Underdogs hatten sich in einen Rausch gespielt, dem Barcelona nichts entgegenzusetzen wusste. Das war großer Fußball, der nur einen Sieger verdient gehabt hätte: den FCK. David hatte es Goliath gezeigt – bis zur 89. Minute. Für das fatale Gegentor gab es keine Erklärung. Es fiel aus dem Nichts, war ungerecht, grausam, bestialisch.

Natürlich ging das Leben danach weiter. Auf der Jagd nach einem Erfolgserlebnis fuhren wir zum DFB-Pokalspiel nach Bremen und erlebten, wie Lautern mit 0:2 ausschied – diesmal verdient. Wir sahen uns einen trostlosen 0:0-Kick in Bochum an. Und irgendwann trauten wir uns auch wieder auf den Betzenberg. Aber selbst die Siege fühlten sich nun anders an. Durch Barcelona hatten wir unseren Kinderglauben an Fußball verloren. Gibt es etwas Schlimmeres?

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