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Reunion-Tour von Oasis: Werden sie sich vertragen? Definitely Maybe!

Reunion-Tour von Oasis: Werden sie sich vertragen? Definitely Maybe!

Hach, was für eine schöne Soap-Opera das doch ist. Zwei Brüder hauen sich die Köpfe ein und schreien sich an. Sie nutzen Twitter als Schimpfgewitter, werfen Obst aufeinander und deklinieren den englischen Schmähwortschatz im Anblick des brüderlichen Antlitzes einmal durch, von A bis Zip Your Lip. Und wir sind (fast) live dabei. Ein epischer Streit wie bei Kain und Abel, William und Harry, Kim und Kourtney Kardashian. Nur krachender, kratziger, kraftvoller. Vorhang auf zur Geschichte von Noel und Liam Gallagher.

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Besser bekannt als Oasis.

Die beiden Brüder aus einer Sozialbausiedlung in Manchester haben eine dieser Tellerwäschermillionärgeschichten geschrieben. Aufgewachsen unter ärmlichen Verhältnissen in Nordengland, gelitten unter einem alkoholkranken Vater, mit Musik zu Weltruhm gekommen, ausgetickt, gestritten, getrennt. Und jetzt, Trommelwirbel, wiedervereint.

Wer Tickets für die Tour haben wollte brauchte neben Geld auch Geduld.

Wer Tickets für die Tour haben wollte brauchte neben Geld auch Geduld.

Quelle: ---/Ticketmaster.Co.Uk/PA Media/

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Am Freitag geschieht das, worauf die pessimistischen Oasis-Fans nicht mehr zu hoffen wagten und die optimistischen ehrlich gesagt auch nicht: Oasis geht auf Reuniontour, gibt wieder gemeinsam Konzerte und will die Vergangenheit vergessen. Oder um es mit dem berühmten Song „Wonderwall“ zu sagen: Today It’s Gonna Be The Day.

Wir drehen die Zeit rund zehn Monate zurück. Am 25. August 2024 erklingen gerade die letzten Töne von Liam Gallaghers Auftritt bei einem Festival in Reading. Da flackern merkwürdige Botschaften über die Leinwand. Die Fans sind außer sich. Soll? Das? Etwa? Heißen? Soll das etwa heißen, dass eine Wiedervereinigung der beiden unversöhnlichen Brüderblöcke, quasi von Ost-Oasis und West-Oasis, kurz bevorsteht?

Ja, das sollte es heißen. Zwei Tage nach dem kryptischen Zehnsekünder auf dem Monitor folgt eine Pressemitteilung: „The guns have fallen silent. The stars have aligned. The great wait is over. Come see. It will not be televised.“ Wer mag, hier mit Untertiteln: „Die Waffen schweigen. Die Sterne stehen günstig. Das lange Warten hat ein Ende. Kommt und schaut! Es wird nicht im Fernsehen übertragen.“

Waffen. Sterne. Liam und Noel greifen ganz oben in die Begriffsschubladen. Aber das haben sie schon immer. „This is history, right here, right now“. Diese Sätze sind im August 1996 auf der Bühne zu hören. Damals spielt die Britpopband Oasis im englischen Knebworth und 250.000 Menschen – viele Männer, oft in Trainingsklamotten und mit den damals typischen zerrupften Helmfrisuren – hören zu. Geschichte, darunter machen es die Gallaghers es nicht.

Aber zugegeben: Dieser Auftritt der Gallagher-Brüder Noel und Liam gemeinsam mit ihren Bandkollegen war das größte Freiluftkonzert, das England bis dato gesehen hatte. Allein 7000 Personen sollen auf der Gästeleiste gestanden haben, die Stars der Zeit wie die Models Kate Moss und Naomi Campbell, Simply-Red-Sänger Mick Hucknall, Mit-Britpopper Jarvis Cocker und die Fußballstars Gareth Southgate und Stuart Pearce – die Älteren werden sich an diese Celebritys erinnern.

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Dann bleiben wir doch kurz mal im England der Neunziger. Margaret Thatcher hatte seit ihrem Amtsantritt 1979 den Neoliberalismus zur Staatsdoktrin erhoben und das Wort Glück eng an das Wort Eigenverantwortlichkeit gekoppelt. „There is no such thing as society“, lautete eines ihrer berühmten Zitate, es gibt keine Gesellschaft, nur Individuen. Thatcher regierte von 1979 bis 1990, ihr Nachfolger John Major, ebenfalls von den Tories, danach noch einmal sieben Jahre.

Mitte der Neunziger wollte England einfach mal das Fenster öffnen. Durch eben jenes geöffnete Fenster lächelte ein junger, E-Gitarre spielender Politiker namens Tony Blair herein. 1996 hatte England bei der Fußball-Europameisterschaft den Fußball nach Hause geholt, nicht aber den Pokal. Elfmeterschießen, muss man mehr sagen?

Der ehemalige britische Premier-Minister Tony Blair.

Früherer Hoffnungsträger: Der ehemalige britische Premier-Minister Tony Blair. hier im Februar 2017.

Quelle: imago/ZUMA Press

Trotz der sportlichen Niederlage war die Zeit damals mehrheitlich offen und optimistisch. Den passenden Soundtrack dieser Zeit lieferten junge Bands, die sich unter dem Begriff Britpop sammelten. Blur mit Damon Albarn an der Spitze schaffte es 1994 mit ihrem Album „Parklife“ auf Platz eins der englischen Charts. Pulp mit Jarvis Cocker am Mikro folgte mit „Different Class“ 1995.

Und Oasis? Hatte sich ebenfalls 1994 mit ihrem Album „Definitely Maybe“ (definitiv vielleicht der schönste Titel für alle Entscheidungsunfähigen dieser Erde) auf den Chartthron gesetzt. „In my mind my dreams are real / Now you’re concerned about the way I feel / Tonight, I’m a rock-’n‘-roll-star“, heißt es im Opener des Albums. Anders als die von Oasis-Fans gern so bezeichneten Upper-Class-Schnösel von Blur – die beiden Bands bekämpften sich wie Nintendo und Sega, um in der Zeit zu bleiben – war der Weg der Gallaghers steinig. Sie hatten vom Aufstieg durch Musik geträumt, und in ihren Köpfen war der Traum Wirklichkeit, Mitte der Neunziger dann auch außerhalb ihrer Köpfe.

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Es folgte im September 1995 das zweite Album „(What’s the Story) Morning Glory?“ mit den Überhits „Wonderwall“ und „Don‘t Look Back in Anger“. Erinnert sich einer der heute 40- bis 55-Jährigen an eine Party jener Zeit ohne diese beiden Songs? Für diejenigen gibt’s eine Runde „Champagne Supernova“.

Bleiben wir noch ein wenig in den Neunzigern. Es war die Zeit der (im weitesten Sinne) erneuerten Sozialdemokratie. Tony Blair hatte den „Dritten Weg“ einer pragmatischen, ideologiefreien Politik eingeschlagen. Gerhard Schröder übernahm 1998 das Kanzleramt von Helmut Kohl und führte seine Partei mit lautem „Basta“ und „Genosse der Bosse“-Attitüde zu einer neuen Sozial- und Arbeitsmarktpolitik, Stichwort Hartz IV. Und in den USA regierte Bill Clinton. Allesamt Politiker, die sich gern selbst als durchsetzungsstarke, dominante Männer sahen. So sagte Joschka Fischer 2005 in der „tageszeitung“: „Ich war einer der letzten Rock-’n’-Roller der deutschen Politik.“

Alle diese Männer standen für Aufbruch und eine neue Politik. Und Oasis hatte Glück: Die Musiker waren mit ihrem Optimismus und ihren Songs, in die zumindest in Europa jede Menge Aufbruchstimmung interpretiert wurde, zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Für die Männer und Frauen unter den Fans, die ebenfalls aus einfachen Verhältnissen kamen, boten sie Identifikation und versprachen, dass Aufstieg möglich war. Auch wenn Oasis selten direkt so etwas wie Sozialkritik oder gar Klassenkampf ins Mikrofon britpopten, sangen sie doch Zeilen wie: „Some might say they don’t believe in heaven / Go tell it to the man who lives in hell“.

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„Ihre aufbrausende Art und die Energie, die in ihren Liedern liegt, ist mitreißend“, sagt Stephan Rehm Rozanes, der zur Chefredaktion des „Musikexpress“ gehört, im Gespräch. „Die Musik von Oasis stand immer für eine bessere Zukunft.“ Unsere Gegenwart könnte das ja auch ganz gut gebrauchen. Daher ist Rehm Rozanes sich sicher: „Die kommenden Konzerte von Oasis werden alles bisher Dagewesene in den Schatten stellen.“

Stephan Rehm Rozanes, Musikexperte

Ab Ende der Neunziger ging es für die Band dann immer weiter abwärts. Liam erschien immer häufiger betrunken zu Konzerten oder gleich gar nicht. Der Brüderzwist wurde immer verzwickter, das dritte Album „Be Here Now“ enttäuschte die Fans massiv. Und dann war da noch der Handschlag von Noel Gallagher und Tony Blair auf einer Party in der Downing Street Nummer 10. Das ging zu weit. So wie Ikarus der Sonne war Gallagher der Regierung zu nahe gekommen. Die Trennung von Oasis 2009 nach einem weiteren eskalierten Bruderkampf war dann nachvollziehbar.

Seitdem ist viel Wasser die nordenglischen Flüsse heruntergeflossen. Anders als Mitte der Neunziger, als sich nach dem Fall des Eisernen Vorhangs die liberale Demokratie als einzige denkbare Herrschaftsform durchzusetzen schien, leben Engländer, Deutsche, Franzosen, US-Amerikaner heute in einer Zeit der Unsicherheit, der Krisen und Kriege. Da blicken viele gern zurück in die eigene Jugend und schwärmen von der guten alten Zeit. Auch wenn zu diesem Blick in den Rückspiegel auch jede Menge Verklärung gehört. Don’t Look Back in Anger.

In Großbritannien seien viele Menschen heute gebeutelt vom Brexit, sagt Stephan Rehm Rozanes. Eine komplexer werdende Welt erschöpfe die Gesellschaft auch auf Europas größter Insel. Daher werde ein Revival, das die Leute an vermeintlich einfachere Zeiten erinnere, mit Sicherheit ein großer Erfolg. „Das wird ein einziger Freudentaumel“, sagt der Experte. Aber warum eigentlich? Wieso diese Verehrung der Band als Nationalheiligtum des Vereinigten Königreiches?

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Die vielen Konflikte unter den Gallagher-Brüdern sind für Rehm Rozanes, der im Juli sein Buch „Oasis“ im Reclam-Verlag veröffentlichen wird, jedenfalls kein Hindernis, die Band auch heute zu lieben. „Eine Band, die wie eine Telenovela funktioniert, ist leichter konsumierbar als die derzeitig vielschichtige Weltlage.“ Der Konflikt zwischen den Brüdern sorge eher für eine Identifikation der Fans mit der Band: „Jeder der Geschwister hat, ist an diese Streitigkeiten anschlussfähig.“

Ein Geheimnis von Oasis ist zudem, dass sie auch die Generationen begeistern, die nicht in den Neunzigern zwischen dem „Prinz von Bel Air“, Tamagotchis und Discman aufgewachsen sind. Die 48-jährige Louise Davies ist beeindruckt von der großen Zahl an jungen Oasis-Liebhabern. „Sie feiern die Musik mit derselben Leidenschaft wie ich damals in ihrem Alter. Auf Social Media bekomme ich fast täglich Nachrichten von Leuten – darunter gibt es immer auch 18- oder 19-Jährige, die die kommenden Konzerte kaum erwarten können.“ Die Waliserin, Fan seit 1994, ist der Ansicht, Oasis sei mittlerweile größer denn jemals zuvor.

Lange Zeit getrennt unterwegs: Liam (li.) und Noel Gallagher.

Lange Zeit getrennt unterwegs: Liam (li.) und Noel Gallagher.

Quelle: Uncredited/AP/dpa

Das passt auch in das andauernde Neunzigerjahre-Revival, das Musik und Mode immer wieder prägt. Ob Techno-Beats, Adidas-Sneaker oder bauchfreie Tops: Jugendliche filmen sich heute für TikTok in der Video-Ästhetik der Neunziger. Bands wie Oasis zu hören, scheint in dieser Parade der Retrogefühle nur konsequent.

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Auch wenn die Blütezeit der Britpopper bereits 30 Jahre zurückliegt – so ganz schlecht passen sie nicht in unsere Gegenwart. So stand Oasis Mitte der Neunziger auch für eine Renationalisierung der Musik. Liam Gallagher hatte sich den Union Jack – die britische Nationalflagge – auf die E-Gitarre sprühen lassen. Für eine ähnliche Aktion hatte sich Smiths-Sänger Morrissey 1992 noch deutlich kritisieren lassen müssen. Dass sich der prägende Begriff „Cool Britannia“, der wie ein Logo über der Britpop-Epoche schwebte, auf Englands inoffizielle Nationalhymne „Rule Britannia“ reimte, war wohl kein Zufall.

Der „Guardian“ griff vor ein paar Jahren gar die These auf, ob Britpop eine Mitschuld am Brexit trägt. Das fand die Zeitung zwar nicht. Aber der „offizielle Chronist des Britpop“ des Blattes, John Harris, fragte dann doch: „Wenn die Leute ab 1995 unbekümmert mit Flaggen herumspielten und endlos ein vergangenes Großbritannien heraufbeschworen, das es wahrscheinlich nie gab, wohin hat das geführt?“

Am Ende waren es Politiker wie Boris Johnson, die das Land aus Europa lenkten. Die damalige Wirkung von Oasis, deren Mitglieder sich Mitte der Neunziger für kurze Zeit selbst als größte Band der Welt sahen – und sich damit über die von ihnen verehrten und häufiger in ihren Texten zitierten Beatles erhöhten - sollte aber nicht unterschätzt werden. Heute hingegen werden sie kaum mehr als erfolgreiche Reiter auf der Nostalgiewelle sein.

Sie werden auf ihrer Tour alte und, wer weiß, trotz anderer Ankündigungen vielleicht auch neue Songs spielen. Sie werden die Klagelieder über die viel zu teuren Tickets (bis zu mehrere Tausend Euro pro Karte) ignorieren und sich auf die geschätzten Einnahmen von bis zu 475 Millionen Euro freuen. Sie werden viele männliche, grölende, testosteronlastige Fans anlocken – der Stadtrat von Edinburgh hat vor den Konzerten im August in der Hauptstadt schon vor „rauflustigen Männern im mittleren Alter“ gewarnt. Kleiner Spoiler, liebe Schotten: Die werden kommen.

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Das Wichtigste für alle Fans aber wird sein, dass sich die beiden Brüder auf der monatelangen Tour nicht streiten. Es würde ja niemanden wundern, wenn wieder eine Pflaume fliegt wie damals am Abend der Trennung im August 2009 in der Bandgarderobe in Paris. Das wäre dann ein weiteres Kapitel in dieser herrlichen Soap-Opera mit Musik. Und wir wären live dabei.

rnd

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