Michi Strausfeld erinnert die Europäer an die Gründe, warum sie für Lateinamerika einmal eine Sehnsucht hegten

Die Autorin spürt in ihrem neuen Buch «Die Kaiserin von Galapagos» den Geschichten von Entdeckern, Verfolgten und Visionären nach.
Rainer Moritz
Friedrich Georg Weitsch / Wikimedia Commons
Als Michi Strausfeld mit Anfang zwanzig zum ersten Mal nach Lateinamerika, nach Lima, kam, ahnte sie nicht, welche Faszination dieser Kontinent auf sie ausüben sollte. Über Jahrzehnte hinweg arbeitete sie als Literaturwissenschafterin und Verlagslektorin daran, die Kultur dieser Länder im deutschsprachigen Raum populär zu machen.
NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.
Bitte passen Sie die Einstellungen an.
Dass in den 1970er und 1980er Jahren das Interesse für Autoren aus Argentinien, Brasilien oder Uruguay ständig wuchs und manche von ihnen mit ihren Büchern die Bestsellerlisten erstürmten, war oftmals Michi Strausfelds Gespür und Einsatz zu verdanken.
Zuflucht vor dem FaschismusDoch spätestens seit dem Fall der Mauer wurde das allgemeine Wissen über die lateinamerikanische Kultur immer dürftiger. Voller Enttäuschung darüber unternimmt Strausfeld in «Die Kaiserin von Galapagos» einen «Streifzug durch fünf Jahrhunderte», erzählt Geschichten von Naturwissenschaftern, Hasardeuren, Goldsuchern und Verfolgten, die Europa den Rücken kehrten.
Strausfeld beginnt mit dem frühen 16. Jahrhundert. Die Autorin zeichnet die vielfältigen Motive nach, die den Blick auf einen für viele ganz fremden Kontinent ausrichteten. Da geht es um wirkmächtige Reiseberichte, die die Kenntnisse erweiterten und zugleich Vorurteile zementierten, da nehmen die Bankhäuser Welser und Fugger Einfluss, da bricht eine Maria Sibylla Merian in die männliche Phalanx der Forschungsreisenden ein und betreibt im tropischen Urwald Feldstudien, und da ist vor allem der Universalgelehrte Alexander von Humboldt, dessen Bericht über seine fünfjährige Lateinamerikareise von 1799 bis 1804 um die Welt ging.
Humboldts Analyse des Kolonialismus und seine Verurteilung der Sklaverei waren ihrer Zeit voraus und zeigen, wie wichtig es ist, auf empirischer Grundlage zu argumentieren – anders als Georg Wilhelm Friedrich Hegel, dessen Äusserungen über Amerika, so Humboldt, «rein falsche Tatsachen und Ansichten» behaupteten.
Michi Strausfelds Buch ist eine Fundgrube an Namen und Episoden. Es lässt nicht unerwähnt, wie viele Verfolgte im 20. Jahrhundert Zuflucht vor dem europäischen Faschismus in Lateinamerika fanden, und es erzählt gleichzeitig davon, wie dem Nationalsozialismus dort in deutschsprachigen Kommunen früh gehuldigt wurde und wie furchterregend leicht es NS-Mördern nach 1945 gemacht wurde, nahezu unbehelligt in Lateinamerika zu leben. Josef Mengele ist sicher das bekannteste Beispiel.
Glücksritter und VerfolgteNeben denjenigen, die als politisch oder religiös Verfolgte in Lateinamerika eine neue Heimat fanden, gab es immer Glücksritter, die ihre Träume in der Ferne verwirklichen wollten. So wie der Kinderwagenfabrikant Carlos Gesell, der Anfang der 1930er Jahre südlich von Buenos Aires billig Dünenland erwarb und eine Stadt mit alternativen Lebensformen entwickeln wollte. Der Badeort Villa Gesell wird heute alljährlich von Hunderttausenden Touristen besucht.
Noch mehr Aufsehen erregte, was sich fast zur gleichen Zeit auf den Galapagosinseln ereignete. Der deutsche Arzt Friedrich Ritter und seine Gefährtin Dore Strauch, die als Zivilisationsenttäuschte auf der Insel Floreana ein Paradies errichten wollten, lockten alsbald Neugierige an, unter ihnen die österreichische Hochstaplerin Eloise Wagner de Bousquet, die sich selbst zur Kaiserin von Galapagos machte.
Was folgte, waren abenteuerliche Verwirrungen mit verschwundenen Leichen, Schiffbrüchigen und rätselhaften Vergiftungen, für die ein verdorbenes Huhn verantwortlich gemacht wurde. Der Stoff hielt die Presse weltweit in Atem und inspirierte zahlreiche Romanciers und Regisseure dazu, dieser «Affäre» künstlerisch auf den Grund zu gehen.
Michi Strausfeld erinnert mit ihren mal ernsten und mal skurrilen Geschichten daran, welches Echo Lateinamerika einst hierzulande fand. Und ihr lesenswertes Buch endet mit der Hoffnung, dass die gegenwärtige Ignoranz nicht das letzte Wort sein möge.
Michi Strausfeld: Die Kaiserin von Galapagos. Deutsche Abenteuer in Lateinamerika. Berenberg-Verlag, Berlin 2025. 264 S., Fr. 36.90.
nzz.ch