Neues David-Bowie-Centre in London

London. Eve Macneill öffnet vorsichtig einen vor ihr liegenden schwarzen Koffer. Darin liegt eine unscheinbare Akustikgitarre. Mit Handschuhen hebt sie das Instrument heraus, als handle es sich um eine Reliquie. „Zum ersten Mal überhaupt zeigen wir dieses Stück“, erklärt die Mitarbeiterin des V&A East. Genau diese Gitarre spielte David Bowie im Video zu „Space Oddity“, jenem Song, mit dem er 1969 Weltruhm erlangte. Für viele ein Symbol des Aufbruchs. Der Beginn einer Karriere, die Rockmusik, Mode und Kunst verändern sollte. Und doch ist sie nur eines von über 90.000 Objekten in dem Archiv.

Im V&A East Storehouse im Londoner Osten ist jüngst das David-Bowie-Centre eröffnet worden. Es umfasst einen Ausstellungsraum sowie einen Bereich, in dem Besucher Archivalien bestellen und einsehen können. Die Dimension der Sammlung ist überwältigend: über 400 Kostüme und Accessoires, knapp 150 Instrumente sowie zehntausende Fotografien. Hinzu kommen rund 200 Auszeichnungen sowie Kunstwerke, Tagebücher, Skizzen und Fanpost.
„Nur wenige Künstler haben ein so umfassendes Archiv hinterlassen“, sagt Madeleine Haddon, Kuratorin des V&A East, im Rahmen der Eröffnung. Das Zentrum liefert Einblicke in das Vermächtnis des britischen Künstlers, dessen Todestag nun schon fast zehn Jahre zurückliegt. Bowie starb am 10. Januar 2016 in New York, wo er bereits seit den 1990er-Jahren lebte, zwei Tage nach seinem 69. Geburtstag. Todesursache war ein Krebsleiden, das er zuvor rund anderthalb Jahre lang geheim gehalten hatte.
Wer die Regalreihen mit beschrifteten Kisten betrachtet und an den deckenhohen Vitrinen vorbeigeht, spürt: Hier lagert nicht nur das Erbe des gebürtigen Londoners, sondern eine ganze Epoche der Popkultur. „Viele Menschen kennen Bowie selbstverständlich als Musiker, doch in diesem Archiv kann nachvollzogen werden, dass er ebenso Künstler, Schriftsteller, Designer und Schauspieler war“, sagt Haddon: „Er war ein Pionier darin, sich nicht auf ein einziges Genre festlegen zu lassen – ganz so, wie auch junge Menschen sich heute als Kreative verstehen.“
Dabei steht eines zunächst selbstverständlich im Zentrum: Bowies provokante Art, sich zu kleiden. Zu sehen ist unter anderem das Ziggy-Stardust-Outfit des japanischen Designers Kansai Yamamoto, ein asymmetrischer, eng anliegender Anzug aus bunt gemusterter Wolle, der den Briten Anfang der 70er-Jahre zur androgynen Ikone machte. Ebenso ausgestellt ist ein türkisfarbener Dreiteiler aus dem Video zu „Life on Mars?“ (1972) von dem britischen Designer Freddie Burretti, kombiniert mit Plateauschuhen. Bowie wollte auf der Bühne Charaktere erschaffen, als wäre das Outfit Teil der Inszenierung seines Ichs.

Der Brite erforschte über Jahrzehnte hinweg zahlreiche kreative Ausdrucksformen. Das passe zur Mission des V&A East, das Kreativität in all ihren Facetten zeigen will. Neben dem Victoria & Albert Museum im noblen South Kensington, einem Kunst- und Designmuseum, entsteht in Stratford im Osten Londons das V&A East mit einem bereits eröffneten Storehouse, das Sammlungsdepot und Ausstellungsräume verbindet, sowie einem Museum, das 2026 folgen soll und zeitgenössische Kultur, Mode und Musik in den Mittelpunkt rückt.
Weil Kunst diesem Verständnis nach Künstler inspiriert, können Besucher im David-Bowie-Centre auch die große Sammlung an Fan-Kunst, die der Musiker über die Jahre bewahrte, einsehen – von Gemälden und Zeichnungen bis zu handgenähten Puppen. „Er scheint fast alles aufgehoben zu haben, was ihm geschickt wurde“, sagt Eve MacNeill mit Blick auf ein Pop-Art-Gemälde des Musikers, geschaffen von einem seiner Anhänger. Es zeige, wie sehr Bowie die Kreativität anderer schätzte. Und dann sind da noch persönliche Erinnerungsstücke – wie ein Schlüssel zu jener Berliner Wohnung, in der Bowie Ende der 1970er-Jahre gemeinsam mit Iggy Pop lebte.
Zu den bewegendsten Beständen gehören jedoch die Materialien aus den letzten Lebensjahren Bowies. Im sogenannten „Lazarus“-Projektordner finden sich handschriftliche Notizen für das gleichnamige Musical, das der Brite 2015 parallel zu seinem letzten Album „Blackstar“ entwickelte und das die Geschichte eines humanoiden Außerirdischen erzählt. Es wird deutlich: Der Musiker war eng in den Entstehungsprozess eingebunden. Zwischen Notizen und Zeichnungen tauchen jedoch auch banale Anmerkungen auf. „Da steht neben einer Liedzeile plötzlich so etwas wie: Milch kaufen”, sagt Sabrina Offord, Archivarin des V&A. „Seine Gedanken gehen von künstlerischen Visionen in alltägliche Routinen über.“ Diese Fundstücke machen das Archiv so besonders.
Bowie war ein Meister darin, gewohnte Sichtweisen zu hinterfragen, und sprach oft darüber, wie stark er sich dabei von anderen inspirieren ließ. Heute sind es Künstler wie Lady Gaga, die ihn nennt. „Jeden Morgen frage ich mich: Was würde Bowie tun?“, wird sie im Zentrum des V&A East zitiert. Auch Künstler wie die US-amerikanische Sängerin Janelle Monáe greifen Bowies Mischung aus androgynem Stil, Science-Fiction-Ästhetik und künstlerischem Mut aktuell auf.
„Wir hoffen, dass Besucher nicht nur Bowie als Musiker sehen, sondern als jemanden, dessen Arbeitsweise dazu anregt, selbst kreativ zu werden“, sagt Haddon. Das David-Bowie-Centre bewahrt damit nicht nur Erinnerungen an einen Künstler, es zeigt einen Arbeitsprozess voller Umwege und Experimente. Wer sich darauf einlässt, versteht: Bowies Vermächtnis ist weniger Nostalgie als Ansporn, Dinge anders zu denken.
rnd