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Bach und Braun | Sehnen und Schwere

Bach und Braun | Sehnen und Schwere
Diesen Mittwoch wird Volker Braun 86 Jahre alt.

Es erklingt Bachs »Präludium Es-Dur«: Kraftvoll setzt die Orgel ein. Und kraftvoll wirkt auch Volker Braun an diesem Sonntagabend auf mich, eindringlich formulierend und gelassen in sich ruhend. Keine vorgezogene Geburtstagsfeier – am heutigen Mittwoch wird er 86 –, aber ein besonderes Erlebnis für die mindestens 150 Anwesenden in der Luisenkirche Charlottenburg. Viele standen nach seinen Büchern an und ließen sie sich signieren.

Der berühmte ostdeutsche Dichter im künstlerischen Dialog mit dem in England gebürtigen Organisten Jack Day: Kirchenmusik traf Texte, die den Widerspruch zwischen Wunsch und Wirklichkeit in sich tragen. Insofern war Volker Brauns Schreiben immer gegen das Beschränkende von Macht gerichtet. Und umso mehr heute, da ihn »Verworrenheit« und »Verwüstung« so erschüttern und erschrecken, wie es im Gedicht »Die Verantwortung« heißt: »wie reich wir geworden sind und wie sorgenvoll«.

»Da bin ich noch: mein Land geht in den Westen./ KRIEG DEN HÜTTEN FRIEDE DEN PALÄSTEN./ Ich selber habe ihm den Tritt versetzt ...« Natürlich durfte auch Brauns bleibendes Gedicht »Das Eigentum« nicht fehlen. »Wie ist das Meer des Friedens verkommen«, schreibt er in »Rügen für die Regierung«, wo der Kanzler Kontakt »mit seinen Banken« aufnimmt. Unsereins weiß ja das alles, was da zu beklagen ist und zu verändern wäre. Aber Kraft seiner so nachdenklich-präzisen Sprache bringt der Dichter es auf den Punkt und erzeugt eine Gegenrealität, in der wir unsere Ohnmachtsgefühle wenigstens für eine Zeit von uns werfen können und Gewissheit erlangen. Kraft schöpfen können, vielleicht sogar Trost.

»Ja, mein Sehnen geht ins Ferne« – das Motto des Abends stammt aus dem Gedicht »Bestimmung«, das Volker Braun einmal in der Mitte und dann noch einmal am Schluss mit Orgelbegleitung vortrug. Das lyrische Ich lebt mit seinem Traum von einer besseren Welt und muss doch mit der vorgefundenen zurechtkommen: »Und so sehr ich mich erhebe/ Zieht mich eine Last nach unten/ Eingenäht in mein Gewebe/ Hat sie ihren Ort gefunden.« Gesellschaftskritisch Konkretes trifft auf Überzeitliches. Sehnen reibt sich an der Erdenschwere. Dafür hat Kurator Thomas Wohlfahrt einen guten Ort gefunden.

»Orgel & Lyrik« wird fortgesetzt mit Kathrin Schmidt (1.6.), Norbert Lange (6.7.), Alexandru Bulucz (7.9.), Orsolya Kalász (5.10.), Monika Rinck (2.11.) und Andreas Altmann (7.12.).

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