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Disco für Eckensteher

Disco für Eckensteher

Was ist eine „Bone Machine“, eine Knochenmaschine? Diese Frage haben wir uns schon damals – Ende der Achtzigerjahre – gestellt, als es neu und aufregend war, „indie“ zu hören und „indie“ zu sein; als wir uns, nachdem wir störrische Bands wie die Pixies für uns entdeckt hatten, unangepasst vorkamen, zumindest unangepasster als die eigenen Eltern.

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Was meint Charles Michael Kittridge Thomson IV, der sich als Sänger der Pixies Black Francis nennt, wenn er, wie jüngst beim Konzert in Berlin, „I was talking to preachy-preach about kissy-kiss. He bought me a soda“ singt? Wer ist dieser „preachy-preach“, der ihm eine Limonade kauft? Was ist ein „kissy-kiss“? Immer noch keine Ahnung. Das Lied ist in all den Jahren seit Erscheinen wunderbar widerspenstig geblieben.

Das ausverkaufte Tempodrom wird zur Indie-Disco, denn die in Boston gegründete Band spielt neben „Bone Machine“ fast jeden ihrer Indie-Hits, vom ersten stilprägenden Album „Surfer Rosa“ (1988) auch ihr wohl beliebtestes Stück „Where is my Mind?“ – und das bereits an dritter Stelle.

Auf die Idee zu diesem Song kam Francis beim Tauchen in karibischer Unterwasserfarbenpracht. Ein kleiner Fisch sei dabei mit ihm zusammengestoßen, singt er. „Ich schwöre, er wollte mit mir reden. Koi-koi.“ Vielleicht war es Sauerstoffmangel in ungewohnter Tiefe, der den Sänger auf die Zeile „Your head will collapse if there’s nothing in it“ kommen ließ. Die Pixies warnen in vielen ihrer Songs vor dem Unheil, das auch im Schönen lauern kann, vor dem, was uns Angst oder was uns krank macht, vor dem Kopf-Kollaps.

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Gewöhnliche Bands würden ihr vermeintlich bestes Stück nicht schon am Anfang abfeuern, aber die Pixies sind auch im Alter keine gewöhnliche Band, sie zelebrieren ihre Eigenartigkeit sogar. Keine Ansagen, keine Zugaben, keine Verschnörkelungen. Das Tempo ist zügig: 29 Songs in anderthalb Stunden, darunter zehn von ihrem zweiten, erfolgreichsten Album „Doolittle“ (1989), unter anderem „Wave of Mutilation“, „Here Comes Your Man“ und „Monkey Gone to Heaven“.

Es wirkt so, als erlebe man die Band im schroffen Übungskeller. Gut, dass es sie noch immer gibt. Denn sie werden weiterhin gebraucht – als Gegenstimme zu den vielen mutlosen, verklemmten Lenor-Pop-Sängern und -Sängerinnen aus dem Radio. Und als subversive Kraft – besonders im Trump-Amerika, wo versucht wird, Andersdenkende und Andersartige abzukanzeln.

Ähnlich wie Bob Dylan überlassen der 60-jährige Francis, Gitarrist Joey Santiago, Schlagzeuger David Lovering und Emma Richardson, die Nachnachfolgerin von Originalbassistin Kim Deal, ihr Publikum sich selbst. Wer will, kann in den Songs politische Statements finden oder sich trösten lassen. Man kann mitsingen, aber die Band hat kein spürbares Interesse daran. Sie entertaint nicht. Sie bevormundet oder manipuliert nicht.

Es verwundert deshalb nicht, dass Kurt Cobain die Pixies verehrte. „Ich muss es zugeben“, sagte der Nirvana-Sänger 1994 in einem Interview dem „Rolling Stone“, „als ich die Pixies zum ersten Mal hörte, fühlte ich mich so sehr verbunden, dass ich eigentlich in dieser Band hätte spielen sollen – oder zumindest in einer Pixies-Coverband.“

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Für „Smells like Teen Spirit“, die Hymne aller Eckensteher, sollen sich Nirvana von Pixies-Titeln wie „Debaser“ inspirieren lassen haben, bei denen sich eher leise und eher laute Teile abwechseln. Und worum es in den beiden Songs geht, weiß niemand so genau.

Was gibt es Neues von den Pixies? Nichts. Zum Glück. Auch auf dem aktuellen, im vorigen Jahr erschienenen Album „The Night of the Zombies“ beleuchtet Francis furchterregende Lebenssituationen, denen man zu entrinnen versucht,dem Weltchaos, der Einsamkeit. Die Band stellt mit ihren Songs Fragen, mit denen sie sich immer schon beschäftigt hat: Wie wollen wir leben? So wie jetzt? Wirklich? Gibt es vielleicht doch wahre Liebe?

„Ich fühle mich wie ein Huhn“, singt Francis in dem Lied „Chicken“. Genauer gesagt: Wie ein enthauptetes Huhn. Er scheint nicht besonders optimistisch zu sein. Denn ohne Kopf kein kissy-kiss.

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