Raub des Jahrhunderts im Louvre: Der Wert der gestohlenen Kronjuwelen ist kaum zu beziffern

Bei den entwendeten Stücken handelt es sich um Diademe, Colliers und Ohrgehänge der wichtigsten Frauen des französischen Hofs. Dass der dreiste Diebstahl möglich war, hat mit dem desolaten Zustand des Louvre-Museums zu tun.
Peter Kropmanns, Paris
Aurelien Morissard / Imago
Frankreich steht unter Schock. Man spricht vom Raub des Jahrhunderts. Der materielle Wert des am Sonntagmorgen aus dem Louvre gestohlenen Schmucks, der zu den französischen Kronjuwelen gehört, ist immens. Und zunächst wohl nicht zu beziffern. Dagegen steht schon jetzt fest, dass der ideelle und historische Wert weitaus höher ist, denn es handelt sich um ein kulturelles Erbe.
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Angefertigt wurde der Schmuck für den französischen Hof von führenden Juwelieren des frühen 19. Jahrhunderts. Diese kreierten mit Perlen, Smaragden und Saphiren besetzte Diademe, Colliers und Ohrgehänge. Die Unikate stammen aus den Schatullen führender, dynastisch miteinander verbundener Frauen am Hof, die sie bei Zeremonien und anderen festlichen Anlässen trugen.
Ihre Namen lauten Hortense, Marie-Louise, Marie-Amélie und Eugénie. Erstgenannte war die Tochter von Joséphine de Beauharnais aus einer ersten Verbindung. Sie wurde von Napoleon Bonaparte adoptiert und mit einem seiner Brüder verheiratet. Hortense war die Mutter von Kaiser Napoleon III., der die Spanierin Eugénie heiratete und sie zu Beginn des Second Empire zur Kaiserin machte.
Die beiden anderen Frauen waren «First Ladies»: Bonapartes zweite Frau Marie-Louise sowie Marie-Amélie, die Frau des 1830 bis 1848 regierenden «Bürgerkönigs» Louis-Philippe. Damit spiegeln die Kronjuwelen die französische Geschichte zwischen 1800 und 1870 par excellence. Einzelne Steine, die zu den geraubten Stücken gehören, sind allerdings älter als die Schmuckstücke selbst. Sie wurden Ensembles aus früheren Jahrhunderten entnommen und neu gefasst.
Das Raubgut ist nicht ohne weiteres veräusserbar, weswegen über einen Auftrag spekuliert wird. Allerdings könnten die Diebe vorhaben, geschliffene Steine aus ihrem Zusammenhang zu lösen. Damit würden die Kunstwerke, zu denen sie gefügt wurden, zerstört.
Der teilweise bedenkliche bauliche Zustand des Louvre war im letzten Januar zur Staatsaffäre geworden. Damals eilte Präsident Macron herbei, um bei einer kurzfristig im Saal der «Mona Lisa» anberaumten Ansprache langfristige Investitionen anzukündigen. Mehr noch als der historische Raub der «Mona Lisa», die 1911 von einem in Paris lebenden Italiener entwendet wurde und erst nach zwei Jahren wieder zum Vorschein kam, stand dabei das Problem der enormen Besucherströme im Vordergrund, die von Leonardos Meisterwerk magnetisch angezogen werden.
Erst im Sommer sickerte über streikendes Aufsichtspersonal durch, dass nicht nur Wasserschäden sowie defekte Toiletten und Aufzüge zu beklagen sind, sondern auch der erhebliche Personalmangel sowie etliche Schwachstellen im Sicherheitskonzept. Nun wurden nur wenige Stunden nach dem Raub Passagen eines alarmierenden Vorberichts des staatlichen Rechnungshofes bekannt, der im kommenden Monat in definitiver Fassung vorgelegt werden sollte. Demzufolge ist der Louvre sicherheitstechnisch seit langem in dramatischem Rückstand. Ein Drittel der Säle eines der Gebäudeflügel verfügt über keine einzige Überwachungskamera. In anderen Museumsbereichen fehlt entsprechende Technik in drei Vierteln der Räume.
Anders als 1911, als mit Leonardos «Mona Lisa» ein Gemälde das Diebesgut darstellte, waren es nun Objekte, die einfach in Säcke verstaut werden konnten. Zum Tatort wurde die Galerie d’Apollon, die als einer der prachtvollsten Räume des alten Louvre-Schlosses gilt und schon allein eine Sehenswürdigkeit ist. Sie geht auf das 17. Jahrhundert zurück. Zuletzt hatte Eugène Delacroix im 19. Jahrhundert zu den Deckenmalereien beigetragen. Der grosse Saal ist einer Reihe von Vitrinen vorbehalten, die jene Preziosen der französischen Krone zur Schau stellen, um die es den Dieben nun ging.
Die Sicherheitslücke bestand aber nicht im Innern des Gebäudes. Das Alarmsystem funktionierte, anwesende Besucher wurden vom Aufsichtspersonal aus dem entsprechenden Saal gedrängt und fanden sich zwischen eiligst gesperrten Zwischentüren kurzfristig eingeschlossen. Offenbar hatte niemand damit gerechnet, dass Diebe von der Strasse aus über einen Balkon und ein hoch gelegenes Fenster eindringen könnten. Diese kamen nicht nachts, sondern kurz nach der Öffnung des Museums um 9 Uhr morgens.
Die halbe Stunde nach dem Einströmen der ersten Besucher gilt als heikler Moment. Das Personal bezieht kurz vorher Stellung, so auch in der Apollon-Galerie. Sie liegt vom zentralen Eingangsbereich unter der gläsernen Pyramide etwa zehn bis fünfzehn Gehminuten entfernt. Erste Museumsbesucher waren dort gegen 9 Uhr 30 angelangt, um die prachtvollen Exponate zu bestaunen, als plötzlich eine Fensterscheibe eingeschlagen wurde. Die Galerie hat Fenster an zwei Seiten, darunter solche zur Strasse am Ufer der Seine, die an dieser Stelle Quai François Mitterrand heisst und ein breites Trottoir aufweist.
Die vier Täter hatten unten an der Fassade ein mitgebrachtes Fahrzeug mit Hebebühne parkiert, Warnwesten in Signalfarben angelegt und die Umgebung des Wagens, wie das üblich ist, mit Leitkegeln abgesichert. Hinter dem Fahrzeug versteckten sie Motorräder, mit denen sie schliesslich flohen. Bei ihrem Rückzug über den Weg, den sie zum Tatort genommen hatten, verloren sie einen Teil ihrer Beute auf der Strasse.
In die sehr bewegte Geschichte Frankreichs nach der grossen Revolution von 1789, der Proklamation Napoleons zum Kaiser der Franzosen, seiner Verbannung sowie weiteren Revolutionen 1830 und 1848 kehrte mit dem Zweiten Kaiserreich vorübergehend Ruhe ein. Damals herrschte Napoleon III., der dem Land und seiner Hauptstadt eine Blütezeit bescherte. In Paris fanden die Weltausstellungen 1855 und 1867 statt und zogen die Aufmerksamkeit aller Herren Länder auf sich. Des Kaisers Präfekt für Paris, Georges Eugène Haussmann, hatte damals begonnen, das mittelalterliche Strassengewirr durch jene schnurgerade Avenuen, breiten Boulevards sowie Prunkbauten zu ersetzen, die bis heute das Stadtbild prägen.
Grösste Zier des Kaiserhauses aber war die Kaiserin. Eugénies Glanz bestand nicht zuletzt auch in ihrem Schmuck. Auf diesen hatten es die Diebe in besonderem Mass abgesehen. Allein ihre Krone von 1855, die die Diebe unten an der Fassade auf dem Trottoir verloren und die beschädigt wiedergefunden wurde, besteht aus 1354 Diamanten und 56 Smaragden, die zwischen stilisierten Adlern unter einem Reichsapfel mit Kreuz eingesetzt sind.
Zum vermissten Diebesgut gehören zwei Diademe, zwei Colliers, zwei Broschen sowie Ohrgehänge, deren Wirkung auf der Verwendung von Gold sowie Perlen, Diamanten, Smaragden und Saphiren beruht. Die Diademe und Colliers weisen eine klassische Formgestaltung auf. Dagegen ist eine Brosche wie eine grosse Schleife gestaltet – mit ihr wurde die Corsage befestigt. Jedes Stück, das jeweils zu ganzen Ensembles gehört, ist so reich besetzt, dass die Anzahl der Edelsteine in die Tausende geht.
Stéphane Maréchalle / Musée du Louvre
Die Juweliere, die die Schmuckstücke ersonnen hatten, sind – wenn auch nicht einem grossen Publikum – namentlich bekannt. Zu ihnen gehört François-Régnault Nitot, der sein Handwerk vom Vater erlernt hatte und Leibjuwelier von Napoleon Bonaparte wurde. 1810 fertigte er eines der geraubten Colliers für Marie-Louise an, das sie zur Hochzeit geschenkt bekam. Es gelangte erst 2004 in die Sammlung des Louvre. Die Kronjuwelen sind teilweise erst im 20. Jahrhundert oder sogar zu Beginn dieses Jahrhunderts in den Louvre gekommen, weil einst zwischen offiziellem und privatem Schmuck unterschieden wurde.
Während zum Ende einer Regierungszeit «Staatsjuwelen» abzugeben waren, konnte als privat geltendes Geschmeide behalten und vererbt werden. Noch zu Beginn der Dritten Republik (ab 1870) wurde Schmuck royaler und imperialer französischer Herrscherhäuser dem Meistbietenden veräussert, um die Staatskasse aufzufüllen. Das Bewusstsein für ihren historischen Wert überwog erst später. In der Kritik steht nun das Fehlen von Videokameras, aber auch der eklatante Sicherheitsmangel der historischen und denkmalgeschützten Fenster, die bloss über eine auch raumklimatechnisch bedenkliche Einfachverglasung verfügen.
nzz.ch