Sprache auswählen

German

Down Icon

Land auswählen

Germany

Down Icon

Die Kunst des Konservativen besteht darin, mit dem Bewährten die Zukunft aufzubauen

Die Kunst des Konservativen besteht darin, mit dem Bewährten die Zukunft aufzubauen
Die Praxis der politischen Klugheit folgt nicht abstrakten Ideen, sondern leitet sich aus dem Schatz der gesammelten Erfahrung her. Blick ins britische Unterhaus.

Das Wort «konservativ» hat, anders als etwa in England, im deutschen Sprachraum meist keinen guten Klang. Man hält hierzulande den Konservativen gern für einen Apologeten des Status quo, wenn nicht für einen Reaktionär, jedenfalls für jemanden, der seine überkommenen und überständigen Wertvorstellungen in eine andersartige Gegenwart und Zukunft übertragen, sich gegen diese im Grunde abschliessen möchte.

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Die Grundzüge des modernen Konservativismus haben sich in der Zeit der Französischen Revolution und in Auseinandersetzung mit ihr ausgebildet. Als seinen intellektuellen Vater darf man den irisch-britischen Schriftsteller und Politiker Edmund Burke (1729–1797) ansehen. Seine «Reflections on the Revolution in France» (1790) sind der klassische Traktat der konservativen Opposition gegen die Revolution, der nicht zuletzt durch die ebenso klassische Überset­zung von Friedrich von Gentz (1793/94) bedeutenden Einfluss auf Spätaufklärung und Roman­tik sowie auf die preussi­sche Reform­bewegung gewonnen hat.

Burke war übrigens kein Tory, sondern ein Whig, für den die Glorious Revolution in England ein geschichtliches Vorbild – und Gegenbild der Französischen Revolution – war, der für die amerikanische Unabhängigkeitsbewegung eintrat und stets, so etwa in seinem Engage­ment für die irischen Katho­liken, für die Freiheit des Einzel­nen votierte. Er galt als Liberalkonservativer, in dem die preussischen Reformer zu Recht einen Paten ihrer Bewegung sahen.

Burkes Haupteinwand gegen die Französische Revolution sind ihre ideologischen Prämissen. Gegen diese erhebt er im Namen der spezifisch englischen Tradi­tion der empi­rischen Philo­sophie und praktischen Politik mit der ganzen Ge­walt seiner im britischen Unterhaus geübten parla­mentari­schen Beredsamkeit Protest. Am Ende eines jeden der abstrakten Prospekte der praxisfremden politischen Philosophie der Revolutionäre sei nichts anderes zu sehen als der Galgen.

Das Prinzip Klugheit

Bereits drei Jahre vor der Diktatur der Jakobiner hat Burke die terroristischen Auswirkungen der Revolution prognostiziert. Seine Charakterisierung ihrer Wortführer ist später von Alexis de Tocqueville in seinem Buch «L’Ancien Régime et la Révolution» (1856) bestätigt worden. Anders als englische Schriftsteller wie Burke, so Tocqueville, die ihre politischen Theorien unmittelbar aus der Praxis heraus entwickelten, lebten die französischen entfernt vom politischen Schauplatz und entwickel­ten deshalb eine Art «ab­strakter literarischer Politik», die sich der herrschenden radi­kal ent­gegensetzte; sie suchten den Staat «nach einem vollstän­dig neuen Plan einzurichten, den jeder von ihnen nur im Lichte seiner Vernunft entwarf».

Edmund Burke steht in gut aristotelischer Tradition, auch wenn er sich nie auf Aristoteles selbst beruft. Gemäss diesem kann die ethisch-politische Praxis nicht Anwendung einer zuvor entworfenen Theorie sein. Das praktische Wissen, das Aristoteles als Klugheit bestimmt, bezieht sich auf das Einzelne, das erst durch Erfahrung gegeben wird; seine Leistung besteht darin, in der konkreten Situation, der veränderlichen partikulä­ren Lage das Rechte zu treffen.

Auch für Burke ist die Klugheit des praktischen Wissens die oberste aller poli­ti­schen Tugenden, die sich auf die in beständiger Wandlung begriffene Lage der Dinge richtet; sie ist mithin eine Tugend der Zeitanpassung. Da «das Wesen der Klugheit und Anpassung an die Umstände» eins sind, so schreibt er, so «müssen wir alle dem erhabenen Gesetz der Veränderung gehorchen. Es ist das mächtigste Gesetz der Natur und vielleicht das eigenste Mittel ihrer Erhaltung.»

Das bedeutet: Recht verstandene konservative Politik ist per se Reformpolitik. Ein Konservativer, der starr am Beste­henden festhält, dieses gewissermassen verewigt, verfehlt nicht weniger die Eigenart politischen Handelns wie derjeni­ge, der auf abstrakten Prinzipien beharrend, Politik mit Metaphysik verwechselt.

Tocqueville hat im ersten Kapitel des dritten Buches seiner erwähnten Abhandlung eine Typologie der möglichen Beziehungen zwischen Literatur und Politik aufgestellt und sie auf England, Frankreich und Deutschland verteilt. Während die englischen Schriftsteller – siehe Edmund Burke – ständig mit öffentlichen Angelegenheiten beschäftigt waren, ja darin sehr oft eine Funktion versahen und deshalb auf der Basis praktischer Erfahrung politisierten, sahen sich die französischen und deutschen Literaten, so Tocqueville, weithin von der politischen Bühne verdrängt. Sie blieben also «der Politik gänzlich fremd und auf das Gebiet der reinen Philosophie und der schönen Wissenschaften beschränkt».

Gefahr der einfachen Ideen

Es gab unter den deutschen Intellektuellen nicht nur den französischen Typus, der im Namen der Vernunft und des Naturrechts die traditionellen Ordnungen infrage stellte und sich schliesslich zur Französischen Revolution bekannte, sondern auch den englischen Typus und das Beispiel einer empirisch-politischen Theorie. Zu ihren wichtigsten Vertretern gehören in Deutschland neben dem Burke-Übersetzer Friedrich von Gentz zumal der Freundeskreis des Freiherrn vom Stein mit August Wilhelm Rehberg und Ernst Brandes sowie aus der älteren Generation, als der wohl bedeutendste unter diesen Theoretikern, Justus Möser. Bezeichnenderweise sind sie alle aktive Staatsmänner.

Wenn von Möser geredet wird, ist auch der Name Goethe nicht fern. Der Einfluss des «herrlichen Justus Möser» und seiner «Patriotischen Phantasien» gehört zu den grossen Kontinuitäten in Goethes Leben und Werk. Möser wendet sich gegen die Neigung der modernen Staatsverwaltung – er denkt natürlich an das System des aufgeklärten Absolutismus –, alles «auf einfache Grundsätze zurückgeführet sehen» zu wollen. Diese philoso­phisch-deduktive Tendenz führe zur Auflösung historisch legiti­mierter Rechte, die eben nicht ins «System» passen.

Was für Möser hier noch erst eine Gefahr ist, die hinter der zentralistisch-rationalistischen Bürokratie des spätabsolu­tistischen Verwaltungsstaats lauert – der radikale Bruch mit dem Überkommenen, die Zerstörung der geschichtlichen Kontinuität –, das ist für ihn in der Französischen Revolution zwei Jahrzehnte später Wirklichkeit geworden.

In seinem gegen die neue französi­sche Konstitution gerichteten Traktat «Wann und wie mag eine Nation ihre Konstitution verändern?» betont er unter Berufung auf Montesquieu, die «idées simples et uniques» seien der «helle Weg» – wie einst zum «monarchischen», so jetzt zum «demokrati­schen Despotismus». Kein Zweifel, dass dies auch die Überzeu­gung Goethes gewesen ist. Den Franzosen, so äussert er am 24. November 1824 Eckermann gegenüber, sei begreiflicherweise «unse­re philosophische Idealität willkommen; denn jedes Ideelle ist dienlich zu revolutionären Zwecken».

Goethe war ein Erfahrungsdenker, der aller Theorie, sofern sie der Praxis vorauslag, misstraute – gerade auf dem Gebiet der Politik, die für ihn als Theorie reine Erfahrungs­wissenschaft war. Die Ansicht, «die Theorie müsse immer der Pra­xis vorangehen», hat er in 1829 in einem Gespräch «mit Nach­druck» abgelehnt und ihr die Überzeugung entgegengesetzt, «dass sie immer mit der Praxis zusammengehe. Denn es ist den Menschen unmöglich, körperlose Seelen zu schaffen.»

Jede Theorie be­darf nach Goethe der Basis der Erfahrung. Ist diese Basis nicht breit genug, so stellen sich die hybriden Übereilungen und Ver­einfachungen ein, welche ihn wie Möser und Burke die Französische Revolution verwerfen liessen. «Theorien», so lesen wir in den «Maximen und Reflexionen», «sind gewöhnlich Übereilun­gen eines ungeduldigen Verstandes, der die Phänomene gern los sein möchte und an ihre Stelle deswegen Bilder, Begriffe, ja oft nur Worte einschiebt. Man ahnet, man sieht wohl auch, dass es nur ein Behelf ist; liebt sich nicht aber Leidenschaft und Partei­geist jederzeit Behelfe?»

Von solchen Übereilungen eines ungeduldigen Verstandes, eines ideologischen Parteigeists und dem Behelf seiner Schlagwörter sah Goethe zumal die Politik immer wieder dominiert oder bedroht. Und, so möchte man fragen, wird sie es nicht bis heute?

Goethe fordert mehr Praxis

Demgegenüber war es die Grundtendenz von Goethes eigenem politischen Wirken in seinem ersten Jahrzehnt am Hofe zu Sachsen-Weimar: das Vergangene mit dem Gegenwärtigen zu verknüpfen, dieses aus jenem evolutionär abzuleiten – «Veränderung», die das «Herkommen» nicht untergräbt, wie Goethe in seinem Loblied auf Justus Möser im dreizehnten Buch von «Dichtung und Wahrheit» schreibt.

Sein staatsmännisches Denken lässt sich als eine Spielart des «Reformkonservativismus» bezeichnen. Dieser Begriff stammt von dem amerikanischen Historiker Klaus Epstein, der ihn in der triadischen Typologie seiner «Genesis of German Conservatism» (1966) vom Status-quo-Konservativismus und vom reaktionären Denken abgrenzt. In einem Gespräch mit Eckermann über die Französische Revolution und ihre Folgen am 4. Januar 1824 bekennt Goethe: «Weil ich (. . .) die Revolution hasste, so nannte man mich einen ‹Freund des Bestehen­den›. Das ist aber ein sehr zweideutiger Titel, den ich mir ver­bitten möchte.»

Auch wenn Goethe sich drei Jahre vor der Revolution von der politischen Praxis zurückgezogen hat, argu­mentiert er doch von der Basis ihrer Erfahrung aus. Über das Verhältnis von Politik und Literatur hat er durchaus englisch im Sinne der Typologie von Tocquevil­le gedacht. «Könnte man nur den Deutschen, nach dem Vorbilde der Engländer, weniger Philosophie und mehr Tatkraft, weniger Theo­rie und mehr Praxis beibringen, so würde uns schon ein gutes Stück Erlösung zu Teil werden», meint er Eckermann gegenüber am 12. März 1828, und in einem Gespräch im Jahr darauf heisst es: «Während die Deutschen sich mit Auflö­sung philosophischer Probleme quälen, lachen uns die Eng­länder mit ihrem grossen praktischen Verstande aus und gewinnen die Welt.»

Thomas Mann in einer Aufnahme von 1954 in Erlenbach.

Photopress-Archiv/Keystone

Thomas Mann ringt mit der Politik

Kein Autor des vergangenen Jahrhunderts hat sich Goethes Konservativismus in seinem Beharren auf «Herkommen» wie «Veränderung», der Herleitung dieser aus jenem stärker verpflichtet gefühlt als Thomas Mann in seinen 1915 bis 1918 entstandenen «Betrachtungen eines Unpolitischen». Kaum eines seiner Werke ist bis heute freilich derart hanebüchenen Missverständnissen ausgesetzt wie dieser Grossessay.

Daran ist er nicht ganz unschuldig, denn der provozierende Titel ist irreführend. In Wirklichkeit sind es nämlich Betrachtungen eines höchst Politischen, die sich nur eben von einem falschen Politikverständnis abgrenzen. Man wird sie nicht verstehen, wenn man nicht ihre spezifisch literarische Argumentationsstruktur berücksichtigt.

Thomas Mann hat den Leser davor gewarnt, jedes Argument, dessen er sich bedient, für bare Münze zu neh­men, vielmehr die durchgespielten Positio­nen so aufzu­nehmen wie die Äusserungen verschiedener fik­tiver Perso­nen, aus deren Zusammenspiel erst die Intention des Autors zu erschliessen ist. «Als Dichter hast du ein Recht», zitiert er im Kapitel «Politik» seiner «Betrachtungen» August Strindberg, «mit Gedanken zu spie­len, mit Standpunkten Versuche anzustellen, aber ohne dich an etwas zu binden». Der Dichter darf nach Strindberg «stereoskopisch sehen».

Schon in seiner (nachträglich verfassten) Vor­rede nennt Thomas Mann die «Be­trach­tun­gen» ein «Künst­ler­werk». «Es redet hier einer, der (. . .) nicht gewohnt ist, zu reden, sondern reden zu lassen, Menschen und Dinge, und der also reden ‹lässt›, auch da noch, wo er unmittelbar selber zu reden scheint und meint.» Thomas Mann nennt das «Dialektik», die ihm im ursprünglichen Sinne des Wortes dialogisches Spiel mit unterschiedlichen, ja gegensätzli­chen Positionen ist. Vom «Selbstwiderspruch dieses Buches» redet er ausdrücklich im Kapitel «Politik». Das «Ja-und-doch-Nein ist mein Fall» – der Fall der «Ironie», die ein «Weder-noch und Sowohl-als-auch» ist.

Das Ja-und-doch-Nein ist auch die Signatur von Thomas Manns Kon­ser­vativis­mus, der immer wieder sein Gegen­teil mit ein­schliesst. Im letz­ten Kapitel der «Betrachtungen» behauptet er gar – nachdem er selbst sich zuvor zahllose Male als konservativ bezeichnet hat: «Kon­servativ? Natür­lich bin ich es nicht; denn wollte ich es mei­nungsweise sein, so wäre ich es immer noch nicht meiner Natur nach.» Und er fragt sich: «Sollte ich Elemente, die dem ‹Fortschritt› Deutsch­lands Vorschub leisten, in meinem eigenen konservativen Innern hegen?»

Ein Abkömmling des 18. Jahrhunderts

Thomas Manns ganzes Buch ist eine Polemik gegen den demokratisierenden «Zivilisationsliteraten» alias Heinrich Mann, doch die Literatur als solche, die auch sein eigenes Geschäft ist, «ist demokratisch und zivilisato­risch von Grund aus; richtiger noch: sie ist dasselbe wie Demo­kratie und Zivili­sation».

Die spätere Konver­sion zu der Demo­kratie, die er in den «Betrachtungen» noch auf der Oberfläche seiner Argu­mentation – aber nicht auf dem Grun­de ihrer dialekti­schen Bre­chungen – zu be­kämpfen scheint, ist eine durchaus kon­sequente Ent­wick­lung. Der sich selbst widerstreitende Konservativismus bleibt gleichwohl Konservativismus. Während dieser aber nach Thomas Mann seinen Gegensatz in sich selbst aufnimmt, kennt sein Ge­gen­prin­zip: der sich selbst verabsolutierende «Fort­schritt», in seinen Augen keine Dialektik – und vor allem keine sich selbst relati­vierende Iro­nie.

Thomas Mann ist im Grunde ein Kon­servativer im Geiste des späten 18. Jahrhunderts. Der Patri­ziersohn aus Lübeck versetzt sich unverkennbar in die Posi­tion des Adels der Umbruchszeit um 1800. Ausdrücklich stellt er fest, dass «jede Art Konserva­tivismus» im «feudalen Prinzip» gründet, welches seinerseits «im Grund und Boden wurzelt» und somit der dialektische Gegenspieler des «Prinzips der Menschenrech­te» ist, «welches nirgendwo wurzelt als in der ‹Ver­nunft›».

Die Polemik gegen den «Zivilisa­tions­lite­raten» vollzieht sich ausdrücklich in den Kulissen der Franzö­sischen Revolu­tion. «Wir wissen längst, dass er geistig in einer hundertdreissig Jahre zurücklie­genden Epoche, der Französischen Revolu­tion, lebt und webt.» Was Thomas Mann hier über den Zivilisationsliteraten sagt, gilt auch für ihn selbst. Da sein Bruder die Kulissen von 1789 aufzieht, kleidet sich Thomas Mann selbst ins historische Kostüm und begibt sich ins gegenrevolutionäre Weimar. Seine poli­tische Haltung spiegelt er in derjeni­gen Goethes: seines «gemässigten Liberalismus» und seiner Ver­werfung der Staatsumwälzung in Frank­reich.

Thomas Manns Polemik setzt sich begrifflich aus dem seiner­zeitigen revolutionskritischen Voka­bu­lar zusammen. Der Name Burke kommt allerdings in Tho­mas Manns «Betrach­tungen» nicht vor. Offenbar ist er erst nach ihrem Erscheinen auf ihn aufmerksam gemacht worden, denn im Mai 1920 liest er, wie die Tagebücher ausweisen, die «Betrachtungen über die französische Revolution» in der Überset­zung von Gentz.

1952 hat er in seinem Aufsatz «Das Künstlertum und die Gesellschaft» behauptet, schon bei der Niederschrift seiner «Betrachtungen» Burkes Meisterwerk gekannt und «mit Begei­sterung daraus zitiert» zu haben – was leider nicht den Tatsachen ent­spricht. Doch auf Gentz, über den sein Sohn Golo 1947 seine grosse Mono­grafie schreiben wird, und vor allem auf einen der be­deu­tend­sten romantischen Burke-Schü­ler: auf Adam Müller und seine «Elemente der Staats­kunst» (1809) beruft er sich wie­derholt.

Gegen den Fanatismus der Reinheit

Dass das, was Tocque­ville «ab­strak­te lite­rarische Poli­tik» genannt hat, im Sinne der aristotelischen Bestimmung poli­tischen Handelns gar keine Poli­tik ist, kommt Thomas Mann im Verlauf seines Essays mehr und mehr zu Bewusst­sein, so wenn er sich im Kapitel «Von der Tugend» auf Adam Müller beruft. «Es wäre ein Miss­ver­ständnis, zu glau­ben, dass es unse­rem Politiker auf Poli­tik, das heisst: auf Re­form, Kompromiss, Anpassung, Verständigung zwi­schen der Wirk­lich­keit und dem Geist, oder, mit dem alten Adam Müller zu re­den, zwischen dem ‹Recht› und der ‹Klugheit› überhaupt ankomme.»

Die von Klugheit bestimm­te Politik ist für Thomas Mann die wahre, die von abstrakten Prin­zipien ausgehende litera­rische Politik hingegen überhaupt keine Politik. Im letzten Kapitel sei­nes Grossessays – «Ironie und Radika­lis­mus» – setzt Thomas Mann der aus «Reinheits­fanatis­mus» gebo­re­nen «sterilen Utopie des absolu­ten Geistes» seine eigene gegen­über, eine kon­servative, wie er sie nennt.

Das Prin­zip des Kon­servativismus aber ist für ihn die Ironie. Am Ende sei­nes Rie­senessays nimmt er des­sen Titel «Betrach­tungen eines Unpo­liti­schen» indirekt, aber un­ver­kennbar zurück, indem er seine Sym­pathie mit dem bekundet, was «der Sinn und Geist der Politik eigentlich ist»: Kunst der Vermitt­lung.

Die «Ähnlich­keit der Kunst mit der Politik» besteht für Thomas Mann in der «Mittlerstellung zwischen dem reinen Geist und dem Leben». Poli­tik «verdient ihren Namen nicht, wenn sie nichts als konser­vie­rend oder radikal-destruktiv ist!» Die Vermitt­lung zwischen Geist und Leben ist aber auch die spezifi­sche Leistung der Ironie. «Iro­nie (. . .) ist immer Ironie nach beiden Seiten hin; sie richtet sich gegen das Leben sowohl wie gegen den Geist, und dies nimmt ihr die grosse Gebärde, dies gibt ihr Melancholie und Bescheiden­heit.»

Poli­ti­sche Klug­heit und literarische Ironie offen­baren sich als Zwillingsge­schwister, die gegenüber allem Radika­lismus die Humanität der Mitte verteidigen. Wenn aber Ironie und Skepsis, Melan­cholie und Bescheidenheit die Prinzipien der Po­li­tik sind, wenn diese sich dergestalt vor der Conditio humana beugt, vor der Bedingtheit und Hinfälligkeit des Menschen, dann zerschellen alle Lösungsmo­delle, welche die Realität in einem ideologischen Konstrukt kristallisieren wollen. Das ist die Grundeinsicht des Konservativismus bis heute.

nzz.ch

nzz.ch

Ähnliche Nachrichten

Alle News
Animated ArrowAnimated ArrowAnimated Arrow