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Eine junge Frau stirbt im Fluss, ihre Familie vergräbt sich in der Trauer, und die Maschinen tanzen: «Bagger Drama» geht unter die Haut

Eine junge Frau stirbt im Fluss, ihre Familie vergräbt sich in der Trauer, und die Maschinen tanzen: «Bagger Drama» geht unter die Haut
Die Familie hat im Trauerprozess für die verlorene Tochter und Schwester auf Autopilot gestellt. Szenenbild aus «Bagger Drama», 2025.

Bagger beflügeln die Phantasien, nicht nur in klassischen Bubenträumen: Ihre Schaufeln stehen für Abriss ebenso wie für Aufbruch und Neubeginn. Und nun wühlen sie sich durch den Moder des Mittellands in einem Spielfilm, der die Balance zwischen Leichtigkeit und Schwere so souverän hält, wie es im Schweizer Schaffen selten ist.

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Für Regie und Buch von «Bagger Drama» zeichnet der Berner Piet Baumgartner verantwortlich, bis anhin bekannter als Theatermann und Performer denn als Filmemacher. In seinem dokumentarischen Kinodebüt «The Driven Ones» (2023) porträtierte er Studierende der Universität St. Gallen, eine Kaderschmiede der hiesigen Wirtschaft.

Sein erster Langspielfilm ist nun in einer Baggerfirma angesiedelt, für deren Besitzerpaar Lebensziel und Fluchtort zugleich. Es steckt alles in dieses Unternehmen, schliesslich will man dem Nachwuchs etwas hinterlassen. Von diesem ist allerdings nur Daniel (Vincent Furrer) geblieben. Seine Schwester Nadine ist vor einem Jahr mit neunzehn gestorben, bei einem Unfall mit dem Kanu.

Ein roboterartiges Ballett

Es geschah im Fluss, der durchs Dorf führt, eigentlich ein Gewässer ohne Gefahren. Bis auf einen Betonklotz mitten in der Strömung. An diesem schlug der unbehelmte Kopf der jungen Frau auf. «Ein dummer Unfall», sagt der Vater Paul, in dessen Rolle Phil Hayes ebenso brilliert wie Bettina Stucky als die Mutter Conny.

Der Sohn musste das Unglück mit ansehen. Welche Bilder sich in seinem Kopf festgesetzt haben, lässt sich nur erahnen. Denn über ihr tiefstes Inneres schweigt diese Familie. Die unseligen Kanus, die noch immer in Garten und Garage herumstehen, will Paul jetzt zudecken. Aus den Augen, aus dem Sinn. Dafür rückt der fatale Betonbrocken immer wieder ins Bild, bis Conny eines Tages beschliessen wird: «Dieser Klotz muss jetzt weg.» Sie verklagt den Kanuklub, es müssen sich doch Schuldige finden für einen sinnlosen Tod. Daniel wiederum will dem Gefängnis aus gestutzten Hecken eines mittelländischen Kaffs entfliehen, indem er ein Studium in Amerika plant.

Zum Filmbeginn recken sich blutrote Baggerschaufeln gegen den blauen Himmel zum gemeinsamen Tanz, als hätte es Synchronschwimmerinnen in die Luft verschlagen. Zum durchwegs stimmigen Soundtrack des Schweizers Rio Wolta, mit dem Baumgartner eine langjährige Zusammenarbeit verbindet, wird das roboterhafte Ballett später auf ein halbes Dutzend Fahrzeuge ausgeweitet.

So eine Bagger-Choreografie ist nichts Neues, schon vor Jahren inszenierte der Zürcher Lichtkünstler Gerry Hofstetter etwas Ähnliches zum Firmenjubiläum eines Kieswerks des Zürcher Unterlands. Aber der gelernte Maschinenbauzeichner Baumgartner nutzt sein Flair für die Poesie der Technik, um sie mit den Tiefen der menschlichen Gefühlswelt zu kontrastieren. Fern fühlt man sich an Jacques Tati erinnert.

Der Sohn sitzt gedankenversunken auf einem Schreibtisch, die elektronische Höhenverstellung hebt und senkt ihn langsam, himmel- und erdwärts. Die Eltern stehen vorm Spiegel, elektrische Zahnbürsten wandern über die Gebisse, während durchs Nebenzimmer ein Staubsaugerroboter rollt. Der Vater kauft ein neues Auto und demonstriert dem Sohn fasziniert dessen automatische Steuerung.

Auch im Trauerprozess hat die Familie auf Autopilot gestellt. Es herrscht kein liebloser Umgang, man möchte sie auch nicht dysfunktional nennen. Doch ihre Sprachlosigkeit im geteilten Leid macht einen wahnsinnig. Der Vater ertappt den Sohn beim Knutschen mit dem Vorarbeiter. Statt über das versehentliche Outing zu sprechen, drängt er Daniel zu dem Bekenntnis, ob er die Firma dereinst übernehme. Und als dieser seine Homosexualität gegenüber der wenig überraschten Mutter offenbart, meint sie nur, sie hätte so gern Enkelkinder gehabt.

Ein kleines Wunder

Der Verlust eines Kindes muss jede Ehe in ihren Grundfesten erschüttern. Diese Beziehung bröckelt über die vier Jahre nach dem Tod der Tochter hinweg, die der Film einfängt. Der Haushund, der Nadine gehörte, bettelt vergeblich um Aufmerksamkeit. Die Menschen haben genug mit sich selbst zu tun.

Der Vater zieht vorübergehend aus, er brauche etwas Abstand. Auf einen Gabelstapler packt er das Wichtigste, dazu gehört ein schwarzer Kugelgrill. Will er Fleisch essen, nachdem die Mutter vorgeschlagen hat, zum Andenken an die Tochter vermehrt darauf zu verzichten? Tatsächlich wird er seiner neuen Flamme später ein Steak vom Rost servieren.

Trost sucht er im Gesangsverein und bei dessen neuer Leiterin. Dass er sie anbaggert, wäre ein wohlfeiler Wortwitz, und das ist kein Film billiger Pointen. Statt seine Figuren für ein paar Lacher zu karikieren, wie es im hiesigen Kinoschaffen verbreitet ist, nimmt er sie ernst in ihrer ganzen Unbeholfenheit.

«Bagger Drama», am Filmfest von San Sebastián mit dem Nachwuchsregiepreis und in Deutschland beim Max-Ophüls-Festival doppelt prämiert, will nicht zu viel und erreicht gerade deshalb mehr. Das verdankt er nebst der starken Besetzung und dem geradlinigen Drehbuch auch ausgefeilter Bildästhetik. Gesichter sind einmal hart ausgeleuchtet, dann wieder in warmes Licht getaucht. Der Dialog eines Paars ist von oben durch ein Auto-Schiebedach gefilmt, eine überraschende Perspektive, dazu läuft «Heaven»: Die Ballade der Hardrockband Gotthard entwickelt sich zu einem Leitmotiv dieses Films, der trotzdem nicht gefühlsduselig wird. Das ist einer seiner vielen kleinen Wunder.

nzz.ch

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