«Was zum Teufel ist aus Grossbritannien geworden?» – Die Verhaftung eines Komikers löst eine Debatte aus


Fünf bewaffnete Polizisten waren beteiligt, als der Komiker Graham Linehan am Londoner Flughafen Heathrow festgenommen wurde. Seine spektakuläre Verhaftung wirkt wie ein Nachhall der Kulturkriege um Wokeness und Anti-Wokeness. Denn der 57-jährige Ire ist weder gewalttätig, noch steht er unter Terrorverdacht. Aber nach Ansicht der britischen Polizei hat er in einer Serie von Tweets zur Gewalt gegen Transgender-Menschen aufgerufen.
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Linehan ist ein bekannter Drehbuchautor und Regisseur. Er hat die Comedy-Serien «Father Ted» und «The IT Crowd» geschrieben oder mitverfasst. Seit 2013 eine Folge von «The IT Crowd» wegen angeblich transphober Äusserungen abgesetzt worden war, verstrickte er sich immer tiefer in die Transgender-Debatte.
Im letzten April schrieb er auf X unter anderem, es sei eine gewalttätige, missbräuchliche Handlung, wenn sich ein Mann, der sich als Transgender identifiziere, in einem Raum aufhalte, der Frauen vorbehalten sei. Frauen rief er dazu auf, wie folgt zu reagieren: «Machen Sie eine Szene, rufen Sie die Polizei, und wenn alles andere fehlschlägt, schlagen Sie ihm in die Eier.»
Unterstützung von Elon Musk und J. K. RowlingDie britische Polizei hat Linehan verhaftet, als er von den USA einreisen wollte. Der Regisseur bestreitet alle Anschuldigungen. Und in der britischen Öffentlichkeit erhält er viel Unterstützung. Kommentatoren in sozialen Netzwerken und Zeitungen sind grossenteils entsetzt. Die Verhaftung, so der Tenor, sei übertrieben. Manche, wie der Rechtsaussenpolitiker Nigel Farage, sehen Grossbritannien gar auf dem Weg in Richtung Nordkorea.
Die «Harry Potter»-Autorin J. K. Rowling, die wiederholt Kritik an der Transgender-Bewegung übte, schrieb: «Was zum Teufel ist aus Grossbritannien geworden? Das ist Totalitarismus. Absolut erbärmlich.» Linehans Verhaftung kommt zu einem Zeitpunkt, zu dem die Transgender-Bewegung in der Defensive ist.
Im April dieses Jahres hat der Oberste Gerichtshof Grossbritanniens entschieden, dass die rechtliche Definition von «Frau» im britischen Gleichstellungsgesetz «biologisches Geschlecht» bedeutet. Sprich: Männer, die sich als Frauen definieren, gelten, anders als etwa in Deutschland, nicht als Frauen.
«Transfrauen sind keine Frauen» titelte der konservative «Daily Telegraph». Und Graham Linehan triumphierte: Genau dieser Satz habe Anfang der 2020er Jahre zur ersten Schliessung seines Twitter-Accounts geführt. Als Elon Musk die Plattform 2022 übernahm, wurde Linehan wieder zugelassen. Musk unterstützt Linehan auch jetzt.
Dessen Äusserungen sind seit Jahren umstritten. Unter anderem verglich er den Einsatz von Pubertätsblockern mit der Eugenik der Nazis. Später sagte er, die Auseinandersetzungen um seine Ansichten hätten «sein Leben zerstört» und seine Ehe beendet. Derzeit will er ein neues Leben in den USA aufbauen.
Am Donnerstag stand er in London jedoch noch wegen einer Anklage vor Gericht, die nicht in Verbindung mit seiner Festnahme am Flughafen steht: Er soll eine 18-jährige Transgender-Aktivistin schikaniert und ihr Mobiltelefon zerstört haben.
Wut von rechts und linksObwohl ein grosser Teil der Wut über die Einschränkung der Meinungsfreiheit in Grossbritannien von der politischen Rechten ausgeht, ist Keir Starmers Regierung auch von links unter Beschuss geraten. Propalästinensische Aktivisten behaupten, sie würden zensiert. Nachdem Aktivisten der Gruppe Palestine Action im Juni in den grössten Luftwaffenstützpunkt Grossbritanniens eingebrochen waren und zwei Militärflugzeuge beschädigt hatten, stufte die britische Regierung die Gruppe als terroristische Organisation ein.
Da auch die Unterstützung terroristischer Organisationen verboten ist, sind seitdem Demonstranten, die sich der Organisation Palestine Action angeschlossen haben, ins Visier der Behörden geraten. Bei einer Demonstration in London im August nahm die Polizei an einem einzigen Tag 466 Personen fest.
Graham Linehans Verhaftung sorgt allerdings auch in Polizeikreisen für Kritik. So forderte Mark Rowley, der Chef der Metropolitan Police, die Regierung auf, sich bei der Bekämpfung von Online-Kriminalität auf Fälle zu beschränken, die eine echte Bedrohung darstellten. Der Sprecher des Premierministers erklärte dagegen, die Festnahme sei «eine operative Angelegenheit der Polizei».
Wer genau den Befehl zur Verhaftung des Comedy-Autors gegeben hat, ist bis anhin unklar.
nzz.ch